Freitag, 25. Juli 2014

Glückliche Familie Nr. 233: Die Glasscheibe


In diesen Tagen wurde ich sehr beschenkt durch Bücher und Begegnungen.

Aus dem Buch "Enjoy your life. 10 kleine Schritte zum Glück" von Martha Beck habe ich mitgenommen, jeden Tag mindestens eine kleine Mutprobe zu wagen. Bei mir sah das so aus, dass ich zum ersten Mal seit Jahren wieder freihändig Fahrrad gefahren bin, mir die Fußnägel pinkfarben lackiert und mich auf einem Indoor-Spielplatz eine Senkrechtrutsche herunter gestürzt habe. Vor allem aber gab es einige Gespräche, in denen ich gewagt habe, die Wahrheit zu sagen. Nicht, dass ich sonst lügen würde. Nein. Aber meistens wage ich nicht, mich komplett zu zeigen, wie ich bin. Immer wieder falle ich in den Modus zurück, meinem jeweiligen Gegenüber gefallen zu wollen.

Martha Beck schreibt:
"Tatsache ist ..., dass die meisten Menschen sich selbst nur in ausgewählten Bereichen die Wahrheit sagen, und viele von uns belügen sich selbst und andere in Bezug auf so ziemlich alles, was wir erleben. Warum? Weil das Leben hinter einer Glasscheibe, so betäubend und leer es auch ist, gleichzeitig ein Gefühl von Sicherheit gibt." (Martha Beck: Enjoy your life,  Frankfurt am Main 2012, S. 38) 

Seit ich vor wenigen Wochen begonnen habe, Marthas Buch zu lesen, bin ich ein paar Mal durch die Glasscheibe gegangen. Es war aufregend, aber auch unangenehm und schmerzhaft und danach habe ich mich so lebendig gefühlt, wie lange nicht mehr.

Am Montag hat mich eine Bekannte besucht, die ich seit sieben Jahren kenne, weil Prinzessin (13) seit der Kindergartenzeit mit ihrem Sohn befreundet ist. Die Familie lebt seit einem Jahr im Ausland und war nur kurz zu Besuch in der alten Heimat. Ich lud Laura ein, noch am Tag vor ihrem Abflug kurz auf einen Eistee vorbei zu kommen. Aus dem "kurz" wurden viereinhalb Stunden intensiven Gesprächs, aus dem gesunden Abendessen wurde ein Tiefkühl-Mini-Pizzen-Gelage, aus der langjährigen Bekannten wurde eine Freundin.
Und das alles, weil ich an ein paar Punkten im Gespräch an Marthas Mutproben dachte und es wagte, mich zu zeigen, wie ich bin.

Das Schöne an Kindern ist, dass sie es so gar nicht mit den Glasscheiben haben (zumindest wenn sie noch klein sind). Und sie merken sofort, wenn wir uns hinter etwas verschanzen und meinen, wir könnten die Familie allein mit Erziehungstipps und - tricks auf Kurs halten, ohne uns persönlich einzubringen. Kinder gucken sehr genau: Wer ist dieser Mensch eigentlich, der meine Mutter, mein Vater ist?

Und das gilt auch umgekehrt:

"... für Kinder ist es wesentlich, Eltern zu haben, die ein wahres Interesse an ihrem Leben haben, die herausfinden wollen, wer ihr Kind ist, deren Fragen sich nicht nur darauf beschränken: 'Wann bist du gestern nach Hause gekommen?' Und: 'Warum so spät?' Sondern Eltern, die fragen: 'Was bewegt dich? Was geschieht gerade in deinem Leben?', statt mit ihren gewohnten 'Kontrollfragen' die Kluft zwischen sich und den Kindern noch größer werden zu lassen." (Jesper Juul: Wir sind für dich da. Freiburg im Breisgau 2014, S. 25) 

Dieses Zitat ist aus dem kleinen Buch "Wir sind für dich da. 10 Tipps für authentische Eltern" von Jesper Juul. Der Kreuz-Verlag war so freundlich, mir ein Exemplar zur Verfügung zu stellen, das ich an meine Leser verlosen darf.




Seid ihr in letzter Zeit einmal durch die Glasscheibe gegangen, mit der wir gerne alles deckeln? Alle, die mir eine solche Tat in einem Kommentar beschreiben, nehmen an der Verlosung des Buches teil. Es kann auch etwas sein, das ihr euch mutig vornehmt zu tun oder zu sagen. Darüber würde ich mich sehr freuen.

Ich gebe euch dafür  ganz viel Zeit, denn die Katzenklo-Familie und ihr Blog gehen morgen für zwei Wochen in Urlaub. Ich weiß nicht, ob ich am Zielort WLAN haben werde. Wahrscheinlich kann ich also nur noch heute und dann erst wieder am 10. August Kommentare frei schalten. Deshalb endet die Verlosung am Samstag, 9. August, um 24 Uhr.

Immer fröhlich durch die "Glasscheibe" hindurchgehen und die Ferien genießen.

Eure Uta

Ps.: Ganz herzlichen Dank noch für die vielen anerkennenden Kommentare zu meinem vorherigen Post. Das war richtig schön für mich.

Samstag, 19. Juli 2014

Glückliche Familie Nr. 232: Sich nichts hinzufügen müssen


Ich habe ein Interview mit der englischen Bestseller-Autorin Jojo Moyes ("Ein ganzes halbes Jahr") gelesen. Ihre Eltern hätten ihr immer das Gefühl vermittelt, sagt sie in dem Interview, sie könne alles erreichen, was sie wirklich wolle.

"Wow", dachte ich, "das will ich auch sofort meinen Kindern vermitteln."

Als 14jährige hat Jojo Moyes drei Putzstellen angenommen (das wäre bei uns verboten in dem Alter, aber egal) und hat sich von dem Geld gegen den Willen der Eltern ein eigenes Pferd gekauft.

Als Erwachsene dann hat sie getan, was sie am liebsten mag: schreiben. Sie hat geschrieben und geschrieben. Jahrelang von den Lesern und der Welt unbeachtet. Als das Geld nicht reichte, hatten sie und ihr Mann sich schon darauf eingerichtet, ein Zimmer auf ihrer Farm unterzuvermieten.
Aber dann kam der Durchbruch zur Bestseller-Autorin.

Jojo Moyes macht heute immer noch, was sie am liebsten macht: schreiben. Aber sie muss keine Zimmer mehr untervermieten und hat sich von dem Geldregen das Luxusmodell eines Massage-Sessels in die Scheune gestellt. Dort lässt sie sich jetzt jeden Abend nach der Schreibtischarbeit durchmassieren.

"Du kannst alles erreichen, was du wirklich willst."

Ja, das will ich meinen Kindern auch vermitteln. Auch wenn ich ein bisschen bange bin, die Antwort könnte lauten: "Fünf Jahre ununterbrochen mit dem iPad im Bett sitzen."

Dann stellte ich mir beim dritten Abwasch des Tages die Frage: "Uta, lebst du denn diese Haltung? Hast du erreicht, was du wirklich wolltest?" -

"Ja, ich habe Familie. Das ist das, was ich wirklich wollte. Ich hätte Chefredakteurin und Herausgeberin des tollsten Magazins der Welt werden können, hätte meine drei dutzend Bücher signierend um die Welt reisen können ... aber ohne meinen Mann, unsere Kinder, Amy, Gulliver und die ganzen Krümel um das Katzenklo hätte ich nicht sein wollen."

"Ja, Familie hast du seit Jahren", das Interview mit mir selber ging unerbittlich weiter, "du könntest noch mehr schaffen. Du hast doch seit längerer Zeit ein paar Ziele beruflicher Art, die du beharrlich nicht erreichst."

Das innere Interview wurde langsam unangenehm. Ja, Ziele können Magneten sein, sie können einen Sog entwickeln und einen auf Spur bringen, aber bei beharrlichem Nichterreichen können sie quälende Mahnmale eigener Unzulänglichkeit werden.

Ich schlug mit der Spülbürste ins Wasser. "Schaumberge, alles bloß Schaumberge."

Vielleicht sollte ich meinen Kindern solchen Schaum nicht ins Hirn setzen, vielleicht sollten sie lieber kleiner denken von sich und der Welt. Immer schön realistisch bleiben, dann wird man auch nicht enttäuscht.

Wieder schlug ich in den Schaum. "Nein, das kann es auch nicht sein."

Und ich merkte, dass das mit den Zielen keine Rolle spielt. Man kann sich große Ziele setzen und Kleine, welche, die in der Welt große Anerkennung finden, oder welche, die gar nicht beachtet werden.  Wenn das Zielesetzen funktioniert und einen voranbringt, gut. Wenn nicht, auch nicht schlimm. Denn wesentlich ist etwas anderes.

Und hier kommen meine beiden Lieblingszitate ins Spiel:

"Innerhalb der wahren Ordnung der Dinge tut man nichts, um glücklich zu sein - man ist glücklich und tut deshalb etwas. Man tut nicht etwas, um mitfühlend zu sein, man ist mitfühlend und handelt deshalb auf bestimmte Weise. Bei einer in hohem Maße bewussten Person geht die Entscheidung der Seele der Handlung des Körpers voraus." (Neale Donald Walsch: Gespräche mit Gott, München 1997, S. 279)

"Zu allen Zeiten fühlen Sie sich ganz und vollkommen. Alles, was im Leben passiert, bestätigt Ihre Ganzheit und Ihre Vollkommenheit." (Ron Smothermon: Drehbuch für Meisterschaft im Leben. Bielefeld 2007, S. 253)

Meinen Kindern kann ich sagen, dass sie dem, was sie sind, nichts hinzufügen müssen.

Kein Schwimmabzeichen, kein 1,0-Abitur, keinen Fußballpokal, keinen Beruf mit Renommee, keine noch so hochfliegenden Ziele.

Wenn sie mit der Gewissheit zu leben lernen, dass sie sich selbst nichts hinzufügen müssen, können sie erreichen, wonach ihnen der Sinn steht. Dann genießen sie Erfolge, verkraften Niederlagen, können das Leben als das betrachten, was es ist: ein großes Spiel.

Amy braucht Katzenminze nicht, um glücklich zu sein. Aber in Katzenminze zu liegen, ist Ausdruck ihres Glücks. 

Auf unserem Wochenmarkt gibt es einen Blumenstand. Er gehört einem Ehepaar und seinem Schwager, alle so Ende fünfzig. Diese Drei leben ihren Blumenstand. Egal, wie lang die Schlange ist, binden sie in aller Ruhe Rosen, Schleierkraut, Margeriten, alles, was ihre Felder und Gewächshäuser in Vierlanden gerade hergeben. Die Freude dieser drei Menschen an ihrer Arbeit sendet sich. Deshalb meckert auch niemand über das lange Warten. Es wird viel gelacht, philosophiert, Lecker verfüttert an Kunden-Hunde.
Als ich neulich zu Hause meine Blumen auswickelte, stellte ich fest, dass sie mir einfach einen Bund Rosen dazugelegt hatten. Ohne ein Wort, als Geschenk. Und ich musste denken, dass diese Drei vom Markt so Menschen sind, die das Glück, das sie mit sich selbst erleben, verströmen für andere. Und dann ist es auch völlig egal, welche Ziele man hat oder was man gerade macht.

Euch immer fröhlich sagen, dass ihr dem, was ihr seid, nichts hinzufügen müsst.

Eure Uta

Montag, 14. Juli 2014

Glückliche Familie Nr. 231: Streit bei kleinen Geschwistern


Neulich schrieb eine Mama in einem Kommentar, dass sie nicht wisse, wie sie sich bei Geschwisterstreit verhalten solle. Ihre Kinder seien eineinhalb und drei Jahre alt. Es ging um Schubsen und schließlich drängte sie das größere Kind, sich bei dem Kleineren zu entschuldigen.

Eine andere Mama antwortete, man müsse unbedingt eingreifen, sonst entstünde eine Gewaltspirale. Sie schrieb, sie würde sich in der Regel anhören, wo das Problem läge, und versuchen, eine Lösung zu finden, die für alle Beteiligten annehmbar sei.

Mein Ansatz sieht anders aus.

Dazu eine Geschichte aus einem meiner ersten Posts:

Tom, sechs Jahre alt, baut eine Autobahn in der Sandkiste. Gerade ist ein gewagter Alpenpass festgeklopft worden, als Theresa, 4, der Schrecken aller Straßenbauer, mit einem Stock tiefe Löcher in das Fundament bohrt. Der Bauleiter reißt ihr den Stock weg, die Kleine rennt heulend zur Mutter. "Tom, hat mir den Stock weggenommen!" Schnappatmung, sandige Tränenrinnsale auf beiden Wangen, das ganze Programm.

Was jetzt kommt, haben wir alle schon gemacht: Mutter marschiert genervt zu Tom, sagt einen der Ich-habe-dir-schon-tausendmal-gesagt-Sätze. Jetzt heult Tom, wirft mit Sand. Mutter schleift ihn hinter sich ins Haus. Klein-Theresa sitzt selbstzufrieden in den Trümmern des alpinen Autobahnkreuzes.

Bei einer Mutter, die an Gerechtigkeit glaubt, hätte das noch länger gedauert. Sie hätte klären wollen, wer angefangen hat, hätte Tom gepredigt, er müsse Rücksicht nehmen, weil die Schwester kleiner, schwächer, ein Mädchen sei ... was auch immer. Das Ergebnis wäre das Gleiche gewesen. Nur Theresa hätte gelernt, welche immensen Vorteile diese Opfer-Nummer hat.


Bei dieser Geschichte hätte ich keine höchstrichterlichen Ermittlungen eingeleitet, sondern Theresa kurz getröstet (so nach dem Motto "Ja, unter Geschwistern gibt es eben manchmal Streit") und ihre Aufmerksamkeit dann auf ein anderes Thema gelenkt. Bei Tom - wäre er gekommen - hätte ich mich genauso verhalten. Bloß nicht anfangen zu klären, wer angefangen hat oder die Schuld trägt.  

Wenn ich allerdings die Situation unmittelbar erlebe und die Kinder wie in dem Leserkommentar erst eineinhalb und drei Jahre alt sind, würde ich kurz eingreifen, wenn sie gewalttätig werden. Sich das Kind schnappen und sagen: "Ich will nicht, dass du schubst." Fertig. 
Wenn es nicht damit aufhört, wiederholen: "Ich will nicht, dass du schubst." 

In dem Alter sind das typische Eifersuchts-Scharmützel. Da hilft es langfristig, mit dem älteren Kind mehr Zeit zu verbringen. Es ist wichtig, es nicht in dem Moment mit Aufmerksamkeit zu belohnen, in dem es gehauen oder geschubst hat, sondern sich das für den Rest den Tages vorzunehmen: heute noch innige Zeit mit Sofia, Vorlesen auf dem Schoß, kuscheln, durchkitzeln, nur wir beide ohne den kleinen Schreihals ... 

Mit einer Entschuldigung kann weder das Dreijährige noch das kleine Kind etwas anfangen. Sie verstehen es nicht, weil es viel zu abstrakt ist. Und es bringt moralische Kategorien ins Spiel, die wenig nützen: Da hat jemand Schuld, da ist jemand böse, ein Sündenbock. Da wird jemand gezwungen etwas zu sagen, was er gar nicht versteht oder gar nicht sagen will. Nicht machen, das ist Gift für die Geschwisterliebe!

Noch einmal zusammengefasst, was auf Dauer hilft:
  1. Wenn man direkt dabei ist, kurz und klar einschreiten: "Ich will kein Schubsen (Hauen, Schlagen, Treten ...)!"
  2. Achtung! Nicht das Kind ist böse, sondern die Tat, nicht zu Entschuldigungen zwingen.
  3. Wer mit Schubsen oder Hauen nicht aufhört, muss woanders spielen.
  4. Mit größerem zeitlichen Abstand zu den Vorkommnissen sich exklusive Zeit nehmen für den "Täter".
  5. Das ältere Kind nicht behandeln als Störfaktor bei der Versorgung des kleineren Kindes, sondern einbeziehen und immer wieder verkünden, wie froh und dankbar die Eltern sind, schon ein so großes Kind zu haben.

Haben sich auch die Stirn geboten, Kronprinz und Prinzessin als Kleinkinder. Die Stirnwunde bei ihm war bei einem Sturz entstanden, sie bekam aus Solidarität auch ein Pflaster.

Immer fröhlich darauf verzichten, einen Konflikt zwischen Kindern aufklären zu wollen.

Eure Uta 

Donnerstag, 10. Juli 2014

Glückliche Familie Nr. 230: Wie heißt das Zauberwort?


Als die Fußball-Weltermeisterschaft begann, hat Kronprinz (16) mit ein paar Freunden ein Deutschland-Spiel bei uns im Wohnzimmer angesehen und zwischendurch auf der Terrasse gegrillt. "Wir gehen dann mal", rief ich meinem Sohn zu, denn Soßenkönig und ich waren in der Nachbarschaft eingeladen. "Also, dann tschüss." Ich reckte mich ein wenig, um zu sehen, wer sich draußen eingefunden hatte. "Wir sind jetzt also wirklich weg." Ich grüßte wie Queen Mum bei Paraden und drehte mich zur Haustür, als zwei der Jungs schnell ins Wohnzimmer liefen. Sie begrüßten uns, bedankten sich für die Einladung und wünschten uns einen schönen Abend. Das klingt nach einstudierter Höflichkeit, aber die beiden traten selbstbewusst auf, waren locker und ungezwungen.

Ich bin ja nicht für Dressur-Nummern, aber das war einfach schön. Der Soßenkönig empfand es auch so.

Am nächsten Morgen beim Frühstück sagten wir dem Kronprinzen, dass wir uns sehr über diese Geste von Jasper und Paul gefreut hätten und wagten zu fragen, ob sich der eigene Nachwuchs bei anderen Leuten auch so verhalte.

Unverständliches Grummeln über den Brötchen.

Wir wurden kühn und legten noch nach. "Wir fänden es schön, wenn ihr das bei anderen Leuten auch machtet, also hallo sagen und sich kurz vorstellen."

Nachher dachte ich darüber nach, ob es nicht zu weit ging, das zu sagen. Wünsche ich mir nicht, dass meine Kinder aus sich heraus herzlich sind? Will ich, dass sie es tun, weil ihre Eltern es erwarten oder sie einer Konvention folgen? Sollten sie nicht authentisch sein?

Der größte Verfechter von Authentizität ist Jesper Juul. In dem Büchlein "Wir sind für dich da. 10 Tipps für authentische Eltern" ist ein Kapitel überschrieben "Authentisch statt höflich sein". Wenn Juul mal Familien auf der Straße trifft, die er kennt, und diese bringen ihre Kinder dazu, ihm die Hand zu geben, ist ihm das unangenehm. Ihm genüge der Blickkontakt zum Kind und darin könne er lesen, ob das Kind sich freue, ihn zu sehen oder nicht. Ihn südlichen Ländern würden die Eltern ihre Kinder sogar dazu nötigen, ihn zu küssen. Dann würde er sagen, dass er das nicht wolle.
(Mich wollen in südlichen Ländern auch immer alle küssen. Ich kenne das Problem.)

Das Eintreten für Authentizität durchzieht sämtliche Bücher von Juul. Wir Eltern sollen das Rollenspiel sein lassen, nicht tun und sagen, was andere erwarten, uns persönlich ausdrücken, keine floskelhafte Höflichkeit, sondern uns und unseren Kindern erlauben, zu zeigen, wer wir wirklich sind.

Das klingt gut und ich halte das auch für sehr wichtig.

Aber wenn ich zum Grillen und Fußballgucken eingeladen bin, sage ich nur dann "hallo" und "danke", wenn mir in jeder Faser meines Herzens danach ist?

Man kann das mit der Authentizität übertreiben. Es gibt Leute, die sind so authentisch, dass sie schwer für andere und sich selbst zu ertragen sind.

Was ist denn authentisch? Immer das, was ich gerade fühle? Dann sind die Gefühle der Chef und steuern mich.

Gefühle sind wichtige Signale, aber sie dürfen uns nicht komplett in der Gewalt haben.

Bei Juul fehlt mir ein Aspekt und jetzt kommt eine wirkliche Sensation: Dass ich etwas tun kann, wonach mir eigentlich nicht ist, und dass die Tat mich und meine Gefühle verändert.

Ich kann mir angewöhnen, häufiger anzuerkennen, was andere Menschen für mich tun, und die Resonanz darauf gibt auch mir ein besseres Gefühl. Wir heben uns damit gemeinsam auf ein anderes Atmosphäre-Level. Wenn meine Kinder das lernen, wird ihr Leben einfach besser funktionieren.


Raus aus der Hängematte, wenn Authentizität zum Vorwand wird, sich nicht zu verändern.


Und was will uns die Erziehungsberaterin damit sagen?

  • Dankbarkeit als Haltung leben und mit Jugendlichen darüber reden. Damit sie nicht auf die Idee kommen, die Welt sei darauf ausgerichtet, sie glücklich zu machen. Damit sie selber einen Beitrag leisten in der Welt und die Beiträge anderer anerkennen.
  • Mich auch bei meinem Kind bedanken und nicht alles selbstverständlich nehmen. So wie ich nur mitfühlend werden kann, wenn ich Mitgefühl für mich selber erlebt habe, kann ich auch nur dankbar werden, wenn ich die Freude dankbarer Anerkennung am eigenen Leib erfahren habe.
  • Als Erwachsene respektvoll miteinander umgehen. Dann können Kinder auf lange Sicht gar nicht anders, als es zu übernehmen.
  • Bei Geschenken für kleinere Kinder kann man ruhig mal sagen  "Wie heißt das Zauberwort?" oder "Was sagt man?" Das tun Erwachsene gefühlt seit dem Kaiserreich. Aber bitte nicht zu verbissen und Kinder nicht nötigen, das erlösende Wort zu sagen.
  • Allerdings finde ich es in Ordnung zu erinnern: "Wolltest du dich nicht noch bei Tim für das Geschenk bedanken?", aber locker bleiben. Einüben, ja, zwingen, nein.
  • Wenn vom Kind kein "danke" oder keine Begrüßung kommt, kann man einfach lachen und sagen: "Dann bedanke ich mich mal im Namen meiner Tochter" oder "Dann sage ich mal für uns alle 'hallo'". Aus dem Thema Umgangsformen keinen Kampf machen, aber ruhig vormachen, wie es geht. 
  • Ein "Hallo" oder "Guten Tag, ich bin der Franz" ist mitteleuropäischer Standard und zu beherrschen wie Zähneputzen. Aber ob ein Kind Oma küssen möchte oder Onkel Frank umarmen möchte, sollte es selbst entscheiden dürfen. 

Immer fröhlich und ohne Zwang die mitteleuropäischen Standards vorleben

Eure Uta

Montag, 7. Juli 2014

Frieda hat gewonnen


Das Bilderbuch "Lukas trödelt nie" hat Frieda gewonnen. Eigentlich musste sich Prinzessin (13) an ihren 19 Mückenstichen kratzen. Aber dann hatte sie doch eine Hand frei, um ein Los aus der Schüssel zu ziehen.

Herzlichen Glückwunsch, liebe Frieda! Maile mir bitte deine Adresse. Dann kann ich es auf den Weg schicken.

Eingepackt ist es schon. Hoffentlich verzeihen mir Friedas Herzbuben das rosa Papier.


Herzliche Grüße

Uta 

Ps: Ich kann mir nicht verkneifen, euch zu zeigen, wie die lange Tafel aussah, die wir am Freitag an der Elbe aufgebaut hatten, um mit Eltern und Geschwistern den Abschied von Kronprinz und seinen Mitschülern aus dem Klassenverband zu feiern ... daher auch die Mückenstiche von Prinzessin.







Donnerstag, 3. Juli 2014

Glückliche Familie Nr. 229: Das lockere Lassen


Heute morgen wachte ich auf und merkte sofort, dass das mit dem Logische-Konsequenzen-Post in die falsche Richtung läuft.

Nicht, dass ihr da sitzt und grübelt: "Was ist jetzt die logische Folge von dieser Untat?" - "Ist es Folge oder vielleicht doch Strafe?" - "Gibt es einen Zusammenhang mit der Tat?" - "Könnte ich einen konstruieren?"

Schon beim Nachdenken kriege ich davon Knoten im Kopf.

Was ich will, ist:

  • dass unseren Kindern nicht reflexartig jedes Hindernis und jede Zumutung aus dem Weg geräumt wird
  • dass unsere Kinder nicht auf Schritt und Tritt kontrolliert und angetrieben werden
  • dass wir Eltern nicht wie der Gott Zeus der Pädagogik Konsequenzen in ihre Welt schicken, damit sie endlich einsehen, was sie alles falsch gemacht haben
  • dass wir ihnen genug Raum lassen für eigene Erfahrungen 

Es ist kein aktives Einsetzen von Konsequenz 3a aus dem Programm IV des Erziehungswissenschaftlers Prof. Dr. Müller-Leonhard, sondern eher ein vertrauensvolles Lassen mit viel Liebe für sich selbst und für das Kind. 

Es ist der Weg für Eltern, die nicht alles im Griff haben müssen und viel Verständnis haben für eigene Fehler und die ihrer Kinder.

Beispiel:

Mittwochs hänge ich ein Schild an jede Kinderzimmer-Türklinke, das meine beiden Thronfolger daran erinnert, dass sie aufräumen müssen, wenn bei ihnen geputzt werden soll. 

Gestern habe ich es vergessen. Dann habe ich es Prinzessin (13) noch zugerufen. Sie hat es aber auch wieder vergessen. Also bleibt ihre Tür heute zu und der Staub liegen. 
Ich stehe dann nicht wie der Erzengel Gabriel mit Putzwedel vor der Tür und denke: "Ha, dann sieht es mal, was es davon hat, das ungezogene Ding." Aber ich fange auch nicht an, selber bei ihr aufzuräumen, voller Groll, "dass mal wieder alles an mir hängen bleibt."  

Es kann sein, dass es ihr in den nächsten Tagen selber zu viel wird mit dem Durcheinander (Jeder muss seine eigene Chaos-Grenze finden dürfen.) Oder es kann sein, dass ich es nicht mehr aushalte und sage: "Ich will, dass du aufräumst, bevor du zum Übernachten zu Lea gehst, weil ich so nicht einmal die neue Wäsche in den Schrank legen kann."


Logische Konsequenz? Blut läuft in den Kopf.
Kronprinz und Prinzessin im Tobe-Alter  


Versteht also die logische Konsequenz nicht als flammendes Schwert des Erzengels, sondern als entspanntes "dem Kind Raum geben für eigene Erfahrungen" und "sich davon entlasten, sich selbst immer für alles zuständig zu fühlen".

Immer fröhlich Geduld haben mit Uta und ihren manchmal kryptischen Ausführungen.

Eure Uta

Ps: Die Verlosung läuft noch bis Samstag, 5.7., bis Mitternacht.

Dienstag, 1. Juli 2014

Glückliche Familie Nr. 228: Strafe oder logische Konsequenz?


Ich bin gebeten worden, darüber zu schreiben, was man gegen das Trödeln bei Kindern tun könne.

Das fragt man mich?

Ich erhole mich heute noch von den Kämpfen, die wir mit Kronprinz hatten, weil es Stunden dauerte, bis er die Jacke anzog und den Ranzen schulterte, um endlich in die Grundschule zu gehen. Da war die Cornflakes-Schachtel, in die er Fenster schneiden musste, da tauchte das Lego-Teil auf, das er so lange vermisst hatte, da musste das Zahnpasta-U-Boot im Waschbecken seine Torpedos abfeuern. Regelmäßig waren der Soßenkönig und ich mit den Nerven am Ende, ehe der Tag richtig begonnen hatte.

Wenn man daneben steht, wird es meistens noch schlimmer. Schnell entstehen Machtspielchen und das "Ich zähle bis drei, dann hast du deine Jacke an" nutzt sich auch irgendwann ab. Vor allen Dingen: Was machen Eltern, wenn sie "zwei-drei-viertel" zählen, und die Jacke immer noch am Haken hängt? Das Kind packen und aus dem Haus zerren? Schon mal voraus laufen und hoffen, dass es nachkommt? Fernsehverbot?

Der Kronprinz spürte genau, wie verliebt ich in ihn war (und bin), gerade wegen seiner überbordenden Phantasie und seiner Verträumtheit. Und er musste jedes Mal austesten, wie weit er damit gehen konnte.

Heute weiß ich, da hilft nur Folgendes:

  • Sich klar werden, da besteht eine Situation, die ich nicht mehr aushalte.
  • Sich bewusst machen, dass man als Eltern eine klare Haltung einnehmen muss. In meinem Fall gab es tief in mir drin eine Wehmut: "Schade, dass mein kleiner Träumer zur Schule muss." Kinder sind Experten im Aufspüren von Unsicherheit und Unentschiedenheit. Die haben es sofort spitz, wenn wir unklar sind.
  • Für sich selber eine klare Position formulieren und verinnerlichen: "Der Kronprinz geht ab morgen ohne Stress pünktlich zu Schule. Das ist wichtig für ihn und für mich. Ende-Gelände."
  • Ich bleibe ruhig und gelassen und - Achtung, jetzt kommt das Entscheidende - lasse es geschehen, dass er vielleicht einige Male richtig zu spät kommen wird.
  • Es kann sinnvoll sein, die Lehrerin (und eventuell den eigenen Arbeitgeber) in dieses Vorgehen einzuweihen. 

Ihr ahnt schon, was mein Thema heute ist: die logische Konsequenz.

Wenn meine Teenager ihre Schmutzwäsche nicht in den Wäschekorb tun, wird sie nicht gewaschen.

Wenn es mit dem Zähneputzen bei Kindern im Grundschulalter nicht verlässlich klappt, kaufe ich keine Süßigkeiten.

Wer sein Zimmer nicht einmal die Woche aufräumt, muss damit leben, dass es nicht geputzt wird.

Wer ein Glas fallen lässt, fegt die Scherben auf (oder hilft dabei, je nach Alter).

Wer seine iTunes-Schulden nicht bezahlen kann, arbeitet sie ab (Auto aussaugen, Rasen mähen, Laub fegen).

Wer ständig draußen auf Strümpfen herumläuft, zahlt vom Taschengeld eine kleine Socken-Steuer.

Das kleine Mädchen, das darauf besteht, jeden Morgen in die Kita das Prinzessinnen-Kleid anzuziehen, darf in dieser Ausstattung nur in die Bücherecke und nicht in die Matschzone (kein Zwingen, kein Schimpfen, aber Absprache mit der Erzieherin).

Wer sich nicht mit einem Sonnenschutz-Mittel eincremen lässt, bleibt im Haus.

"Keine Arme, keine Schokolade!" (aus: "Ziemlich beste Freunde")



Diese Maßnahmen klingen hart, sind aber Schimpftiraden oder Strafen deutlich vorzuziehen.
Hier seht ihr die kleinen, aber entscheidenden Unterschiede zwischen logischer Konsequenz und Strafe:



Logische Konsequenz

Strafe
direkter Zusammenhang zum Geschehen

ohne Zusammenhang, eher Vergeltung

Realität bestimmt das Maß

oft unangemessen
wertfrei
enthält oft moralisches Urteil

es geht um den Sachverhalt

es geht um die Person
keine Abwertung der Person
demütigend

stellt die Beziehung nicht in den Mittelpunkt

gefährdet die gute Beziehung
sachlich

ärgerliche Grundstimmung
das Kind lernt, Verantwortung zu übernehmen
das Kind wird zum Befehlsempfänger und lehnt sich irgendwann auf

copyright: http://wer-ist-eigentlich-dran-mit-katzenklo.blogspot.de/
                


Das ist ein komplexes Thema und ich hoffe, ich erschlage euch damit nicht, denn es geht noch weiter mit den Unterscheidungen.

Es gibt Eltern, die logische Konsequenzen als Strafe einsetzen. Das erkennt man daran, dass sie ihr Kind eine Erfahrung machen lassen und danach sagen: "Siehst du" - "habe ich doch gleich gesagt" - "das passiert eben, wenn man so ein Chaot ist" - "Wer nicht hören will, muss fühlen."

Das sind Sätze aus dem Giftschrank.

Dann gibt es Eltern, die ohne Ende Folgen androhen, aber nie auch nur eine einzige tatsächlich eintreten lassen. Diese machen sich zur Witzfigur für ihre Kinder. Ständig ist schlechte Stimmung und Stress. Nichts wird erreicht.

Das andere Extrem sind die Eltern der harten Schule. Sie sind stolz darauf, dass sie ihre Kinder in jedes Messer laufen lassen, das das Leben so bietet. Diese Kinder werden durchsetzungsfähig und selbstständig, erfahren Familie aber nicht als wärmende Gemeinschaft.

Was funktioniert, ist wieder einmal die Mitte.

Kinder sollten Familie erfahren als einen Ort, wo man sich gegenseitig gerne hilft, man auch mal den Müll rausbringt (Kind) oder  auch mal das Turnzeug in die Schule nachbringt (Eltern). Nur wenn eine Erziehungssituation verfahren ist, das Kind sich immer darauf verlässt, dass die Eltern alles wieder hinbiegen werden, sollten die Eltern den Mut haben, das Schiff auch mal auf Grund laufen zu lassen.

Heute verlose ich ein Bilderbuch, in dem sich Lukas und seine Mutter am Ende der Geschichte gegenseitig helfen.


Ich habe es antiquarisch erworben, ist aber wie neu. 

Wer mitmachen möchte, schreibe mir eine Situation, wo euch und eurem Kind eine logische Konsequenz geholfen hat. Einsendeschluss ist Samstag, 5. Juli, um Mitternacht.

Immer fröhlich die Kunst üben, Kinder liebevoll zu unterstützen und ihnen Freiräume zu geben für eigene Erfahrungen.

Eure Uta