Samstag, 19. Juli 2014

Glückliche Familie Nr. 232: Sich nichts hinzufügen müssen


Ich habe ein Interview mit der englischen Bestseller-Autorin Jojo Moyes ("Ein ganzes halbes Jahr") gelesen. Ihre Eltern hätten ihr immer das Gefühl vermittelt, sagt sie in dem Interview, sie könne alles erreichen, was sie wirklich wolle.

"Wow", dachte ich, "das will ich auch sofort meinen Kindern vermitteln."

Als 14jährige hat Jojo Moyes drei Putzstellen angenommen (das wäre bei uns verboten in dem Alter, aber egal) und hat sich von dem Geld gegen den Willen der Eltern ein eigenes Pferd gekauft.

Als Erwachsene dann hat sie getan, was sie am liebsten mag: schreiben. Sie hat geschrieben und geschrieben. Jahrelang von den Lesern und der Welt unbeachtet. Als das Geld nicht reichte, hatten sie und ihr Mann sich schon darauf eingerichtet, ein Zimmer auf ihrer Farm unterzuvermieten.
Aber dann kam der Durchbruch zur Bestseller-Autorin.

Jojo Moyes macht heute immer noch, was sie am liebsten macht: schreiben. Aber sie muss keine Zimmer mehr untervermieten und hat sich von dem Geldregen das Luxusmodell eines Massage-Sessels in die Scheune gestellt. Dort lässt sie sich jetzt jeden Abend nach der Schreibtischarbeit durchmassieren.

"Du kannst alles erreichen, was du wirklich willst."

Ja, das will ich meinen Kindern auch vermitteln. Auch wenn ich ein bisschen bange bin, die Antwort könnte lauten: "Fünf Jahre ununterbrochen mit dem iPad im Bett sitzen."

Dann stellte ich mir beim dritten Abwasch des Tages die Frage: "Uta, lebst du denn diese Haltung? Hast du erreicht, was du wirklich wolltest?" -

"Ja, ich habe Familie. Das ist das, was ich wirklich wollte. Ich hätte Chefredakteurin und Herausgeberin des tollsten Magazins der Welt werden können, hätte meine drei dutzend Bücher signierend um die Welt reisen können ... aber ohne meinen Mann, unsere Kinder, Amy, Gulliver und die ganzen Krümel um das Katzenklo hätte ich nicht sein wollen."

"Ja, Familie hast du seit Jahren", das Interview mit mir selber ging unerbittlich weiter, "du könntest noch mehr schaffen. Du hast doch seit längerer Zeit ein paar Ziele beruflicher Art, die du beharrlich nicht erreichst."

Das innere Interview wurde langsam unangenehm. Ja, Ziele können Magneten sein, sie können einen Sog entwickeln und einen auf Spur bringen, aber bei beharrlichem Nichterreichen können sie quälende Mahnmale eigener Unzulänglichkeit werden.

Ich schlug mit der Spülbürste ins Wasser. "Schaumberge, alles bloß Schaumberge."

Vielleicht sollte ich meinen Kindern solchen Schaum nicht ins Hirn setzen, vielleicht sollten sie lieber kleiner denken von sich und der Welt. Immer schön realistisch bleiben, dann wird man auch nicht enttäuscht.

Wieder schlug ich in den Schaum. "Nein, das kann es auch nicht sein."

Und ich merkte, dass das mit den Zielen keine Rolle spielt. Man kann sich große Ziele setzen und Kleine, welche, die in der Welt große Anerkennung finden, oder welche, die gar nicht beachtet werden.  Wenn das Zielesetzen funktioniert und einen voranbringt, gut. Wenn nicht, auch nicht schlimm. Denn wesentlich ist etwas anderes.

Und hier kommen meine beiden Lieblingszitate ins Spiel:

"Innerhalb der wahren Ordnung der Dinge tut man nichts, um glücklich zu sein - man ist glücklich und tut deshalb etwas. Man tut nicht etwas, um mitfühlend zu sein, man ist mitfühlend und handelt deshalb auf bestimmte Weise. Bei einer in hohem Maße bewussten Person geht die Entscheidung der Seele der Handlung des Körpers voraus." (Neale Donald Walsch: Gespräche mit Gott, München 1997, S. 279)

"Zu allen Zeiten fühlen Sie sich ganz und vollkommen. Alles, was im Leben passiert, bestätigt Ihre Ganzheit und Ihre Vollkommenheit." (Ron Smothermon: Drehbuch für Meisterschaft im Leben. Bielefeld 2007, S. 253)

Meinen Kindern kann ich sagen, dass sie dem, was sie sind, nichts hinzufügen müssen.

Kein Schwimmabzeichen, kein 1,0-Abitur, keinen Fußballpokal, keinen Beruf mit Renommee, keine noch so hochfliegenden Ziele.

Wenn sie mit der Gewissheit zu leben lernen, dass sie sich selbst nichts hinzufügen müssen, können sie erreichen, wonach ihnen der Sinn steht. Dann genießen sie Erfolge, verkraften Niederlagen, können das Leben als das betrachten, was es ist: ein großes Spiel.

Amy braucht Katzenminze nicht, um glücklich zu sein. Aber in Katzenminze zu liegen, ist Ausdruck ihres Glücks. 

Auf unserem Wochenmarkt gibt es einen Blumenstand. Er gehört einem Ehepaar und seinem Schwager, alle so Ende fünfzig. Diese Drei leben ihren Blumenstand. Egal, wie lang die Schlange ist, binden sie in aller Ruhe Rosen, Schleierkraut, Margeriten, alles, was ihre Felder und Gewächshäuser in Vierlanden gerade hergeben. Die Freude dieser drei Menschen an ihrer Arbeit sendet sich. Deshalb meckert auch niemand über das lange Warten. Es wird viel gelacht, philosophiert, Lecker verfüttert an Kunden-Hunde.
Als ich neulich zu Hause meine Blumen auswickelte, stellte ich fest, dass sie mir einfach einen Bund Rosen dazugelegt hatten. Ohne ein Wort, als Geschenk. Und ich musste denken, dass diese Drei vom Markt so Menschen sind, die das Glück, das sie mit sich selbst erleben, verströmen für andere. Und dann ist es auch völlig egal, welche Ziele man hat oder was man gerade macht.

Euch immer fröhlich sagen, dass ihr dem, was ihr seid, nichts hinzufügen müsst.

Eure Uta