Samstag, 7. Februar 2015

Glückliche Familie Nr. 267: Die Kakao-mit-Sahne-Strategie


Ich bin jemand, der gerne betüdelt, halte seit Jahren mühsam mein Helfersyndrom unter Kontrolle und stehe ständig in der Gefahr, meine Mitmenschen einem Zwangs-Beglückungs-Programm zu unterziehen.

Bei der Kälte vielleicht eine Wärmflasche?

So ein langer Schultag! Wer will alles einen heißen Kakao mit Schlagsahne und Schoko-Streuseln?

Eine Dose Studentenfutter für die Klassenarbeit?

Ein Apfel, blank poliert, für den schwer arbeitenden Soßenkönig?

Zink-Tabletten für das Immun-System der Nachbarin?

Marmeladen-Brote für den Elektriker?

Neulich beim Einkauf betrat eine alte Dame die Holzterrasse eines Restaurants, rutschte aus und landete direkt in meinen Armen. Wir hielten uns noch einen Moment an den Unterarmen umfasst und strahlten uns an. So ein glücklicher Moment. Aber dann sah ich im Augenwinkel, wie mein Mann und die Prinzessin die Augen verdrehten und Angst hatten, ich wollte unserer neuen Oma die Einkäufe bis Poppenbüttel tragen.

Bei den Müttern in meinem Umfeld ist Doro für mich das größte Muttertier. Man kann aus anderer Quelle wissen, dass einer von ihren zwei Jungs wieder was angestellt hat, trotzdem spricht sie mit einer Zärtlichkeit von ihnen, dass man sofort auf ihren Schoß möchte. Außerdem rettet sie kleine Katzen und füttert mit Pinzette und Pipette alles, was aus dem Nest gefallen ist.

Wenn man so gerne bemuttert, besteht die Gefahr, dass die Kinder dem Leben später nicht gewachsen sind, weil man ihnen immer alles abgenommen hat. Habe ich nicht neulich selbst geschrieben: Helfen kann hilfsbedürftig machen?

Diese Zweifel nährte ein Kapitel, das ich in dem Buch "4 Werte, die Kinder ein Leben lang tragen" von Jesper Juul las. Eine Mutter schildert darin, wie ihr erwachsener Sohn noch zu Hause wohnt, eine Ausbildung nach der anderen abbricht und computerspielsüchtig wurde. Dabei hätten sie und ihr Mann ihm so viel geholfen, ihm einen Platz auf der Unteroffiziersschule besorgt, für ihn Arzttermine vereinbart ...
"Einfach und brutal ausgedrückt", so Juul, "wurde er von der ewigen Liebe, Fürsorge, Unterstützung und Hilfsbereitschaft seiner Eltern erstickt."

Für uns Eltern ist das doch wirklich die Pest. Kümmert man sich zu wenig, ist es schlecht, kümmert man sich zu viel, ist es auch verkehrt. Da ist es am besten, man wendet sich der Fauna zu. Kleine Katzen werden nicht computersüchtig.

Das Kapitel aus dem Werte-Buch löste bei mir eine härtere Gangart aus. Nach dem Essen am Sonntagabend sagte ich den Kindern, dass sie jetzt den Abwasch machen müssten.
Sonst sind gelegentliches Ausräumen der Spülmaschine, Socken-Sortieren, Zimmer-Aufräumen, Katzenklo-Reinigen und Dusche-Putzen die einzigen Hilfen, die wir im Haushalt einfordern. Abwaschen gehört also nicht dazu. Wegen der härteren Gangart aber hielt ich das für angebracht. Kronprinz (17) und Prinzessin (14) meckerten und fingen an aufzuzählen, was sie alles arbeiten würden in ihrem Leben.
"Ihr wollt nicht, dass Papa und ich mal aufzählen, was wir alles machen." Ich schnaubte über die abgegessenen Teller. "Nein, das wollt ihr nicht."

Missmutig machten sie sich ans Werk. An dem Abend spielten wir noch Doppelkopf, aber die gegenseitigen Vorwürfe hatten die Stimmung getrübt.

Welche Schlüsse ziehe ich daraus?

  • So ein Strohfeuer "härtere Gangart" ist nicht das Wahre. Wenn ich eine Kursänderung möchte, müssen wir uns richtig zusammen setzen und das aushandeln. In etwa so: "Mir wird das gerade zuviel mit dem ganzen Haushalt. Wer kann welche Aufgabe noch übernehmen?"
  • Wenn ich meine Mütterlichkeit ausleben möchte, kann ich etwas machen, was ich die "Kakao-mit-Sahne"-Strategie nennen möchte. Man setzt punktuelle Highlihts und genießt sie zusammen.
  • Ich merke, dass es ein riesiger Unterschied ist, ob ich eine Arbeit übernehme, weil ich dem anderen nicht zutraue, dass er sie schafft (ganz schlecht), oder weil ich gerade so schön in Schwung bin und jemanden verwöhnen möchte ("Kakao-mit-Sahne"-Strategie). Manchmal muss man doch irgendwo hin mit seiner Lebensfreude und der Kinder-Verliebtheit. 

Am liebsten serviere ich Kakao auf dem oberen weißen Tablett, wenn es nicht gerade belegt ist :-)

  • Als Eltern sollte man sich bremsen bei den ureigenen Belangen der Kinder. Dazu zähle ich bei Jugendlichen die Hausaufgaben, Bewerbung um Praktikums- oder Studienplätze oder das Konfliktelösen im Freundeskreis. Bei diesen ureigenen Belangen kann ich beratend zur Seite stehen, wenn das gefragt ist, aber ich darf nicht das Ruder übernehmen. So nach dem Motto: "Sonst wird das sowieso nichts." 
  • Dieses Vertrauen lerne ich gerade beim Autofahren. Der Kronprinz hat seit 10 Tagen den Führerschein (!!!) und der Soßenkönig oder ich müssen im Auto sein (Kofferraum reicht auch), bis er im Herbst 18 wird. Wenn ich daneben sitze und die Fingernägel ins Polster grabe, denke ich immer an eine Szene aus dem "Pferdeflüsterer": Robert Redford alias Tom Booker lässt die halbwüchsige Grace an das Steuer seines Pick-ups. Und als das Auto kaum rollt, lehnt er sich in die Sitzecke und zieht sich den Cowboy-Hut für ein ungestörtes Nickerchen ins Gesicht. Das ist die Art Vertrauen, die Jugendliche brauchen. Nun haben wir hier nicht die Weiten Montanas, aber die Vorstellung von dem Vertrauens-Nickerchen hilft mir sehr.*
  • Mütterlichkeit hat ja nicht so den Coolness-Faktor. In der Ausprägung "Überbesorgtheit" kann es schnell spießig werden, aber die Kakao-mit-Sahne-und-bunten-Streuseln-Variante werde ich mir vom Zeitgeist nicht austreiben lassen. 
  • Ich darf als Mutter oder Vater der Mensch sein, der ich bin. Wenn ich sehr mütterlich bin, wunderbar, wenn meine Leidenschaften woanders liegen und ich viel an die Kinder deligiere, auch prima.

Immer fröhlich die Mütterlichkeit genießen.

Eure Uta


* Abgesehen davon, kann man sich mit dem Kronprinzen am Steuer wirklich sicher fühlen.