Mittwoch, 26. November 2014

Glückliche Familie Nr. 254: Mantra für Mamas


  • Tief in mir drin steckt der beste Erziehungsratgeber aller Zeiten. Ich selber. Mein Gespür für unser Kind, meine Klarheit, meine Werte. Ich. Einfach unverbesserlich. 
  • Wenn ich mir Zeit nehme, den Becher Lieblingstee wie ein Öfchen in beiden Händen, sehe ich klarer, kann Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden, aller Stress fällt von mir ab. 
  • Um wieder zu funktionieren als Mama, muss ich mir selber eine gute Mama sein. Heute schon dem Nebeln draußen beim Wabern zugeschaut? Mit der guten Handcreme jeden einzelnen Finger verwöhnt?
  • Für mein Kind ist nicht wichtig, dass ich alles richtig mache. (Was ist schon richtig?) Es will, dass ich fröhlich vorangehe, und gnädig mit mir selber bin. 
  • Ich bin die Führungskraft. In meinem Leben. Für mein Kind. 
  • Ich brauche keine Machtkämpfe, keine Rechthaberei in Erziehungsfragen. Mütze auf, Mütze ab? Schuhe aufgeräumt oder nicht? Das, was mir wirklich wichtig ist, werde ich durchsetzen. Quasi automatisch. Weg mit dem Rest.
  • Um zu spüren, was mir wirklich wichtig ist, muss ich innehalten. Sonst kann das nicht hochkommen und ich renne durchs Leben wie vom Tun betäubt. 
  • Mit jedem Tag als Mama wächst meine natürliche Autorität.
    • Konsequenz ist gut und schön. Aber wir sind hier nicht in der Hundeschule und nicht beim Militär. Eine Durchsetzungsquote von 80 Prozent reicht aus für Eltern. 
    • Der Vater meines Kindes hat ein Recht so zu sein, wie er ist. Das Kind will ihn nicht anders. Es will vielleicht mehr Zeit mit ihm, aber es will ihn genau so, wie er ist. (Sind Kinder nicht toll?)
    • Das entlastet mich. Wir sprechen uns als Eltern so gut ab, wie wir können. Wenn das mal nicht klappt, lernt das Kind: "Das sind auch nur Menschen."
    • Wenn ich respektvoll mit meinem Partner umgehe und er mit mir, spiegelt das mein Kind in seinem Verhalten. Das ist praktisch. Wer Kinder hat, hat den Beziehungstrainer gleich im Haus.
    • Das, was ich bin und kann, ist einzigartig. Es wäre eine Schande, es der Welt vorzuenthalten. 
    • Überflieger im Job? Immer entspannt mit den Kindern? Beste Feinbäckerin der Welt? Immer ein persönliches Geschenk, handgefertigt und originell? Wohnen wie bei "tinekhome"? ..... Ich picke mir das raus, was für mich passt, was mein Herz höher schlagen lässt, was zum Ausdruck bringt, wer ich bin. Der Rest macht mir keinen Druck, der kommt in die Tonne. 
    • Wenn heute alles daneben geht, gibt es morgen einen taufrischen Tag. Ich habe wieder dazugelernt. Ich werde immer mehr der Mensch, der ich sein will. 

    Immer schön fröhlich bleiben.

    Eure Uta  

    Freitag, 21. November 2014

    Glückliche Familie Nr. 253: Das Rücklicht und ich


    Wenn es einen Gegenstand gibt, der in mir das Muttertier weckt, dann ist es das Fahrradrücklicht. Für andere ist es vielleicht die wollene Mütze, ein Täfelchen Traubenzucker oder ein Brokkoli-Baum strotzend vor Vitaminen.

    Bei mir ist es das Rücklicht. Wenn das nicht leuchtet, sehe ich Rot. Und zwar in einem irrationalem Ausmaß.



    Nachbarn werden es beobachtet haben. Ich stehe in Schlafhose und Riesenpulli morgens vor der Haustür, eine Hand am Fahrradkorb von Prinzessin (13) (damit sie nicht davonrast), die andere Hand zerrt - auf einen Wackelkontakt hoffend - an den Kabeln des Rücklichts.

    Ich meine, wir wohnen nur etwas mehr als 6000 Kilometer vom Polarkreis entfernt. In Murmansk kann es morgens nicht dunkler sein als in unserer Einfahrt. Und diese große Dunkelheit wird unsere Prinzessin verschlucken wie einen Gruß aus der Küche. "Haps." Weg ist sie.

    In meinem Korb im Flur pflege ich ein Arsenal an Reflektorbändern. Einige davon sind von einem Versandhandel, den meine Nichte  "Der-besorgte-Mütter-Versandhandel" nennt. (Ich schreibe jetzt keinen Namen, weil es sein kann, dass wir eines Tages Werbepartner werden:-)) Mit diesen Reflektorbändern würde ich meine Kinder samt den Katzen gerne von unten bis oben bandagieren. Stattdessen nehme ich nur eines und verklette es zu Demo-Zwecken an meinem Arm. "Das kann Leben retten", sage ich, "binde es um deinen Arm und wenn du dich deiner Peergroup näherst, kannst du es schnell in der Tasche verschwinden lassen." Prinzessin rollt die Augen. "Oder du lässt es dran und setzt damit einen neuen Trend." Noch stärkeres Augenrollen.

    Vor drei Wochen hatten wir ihr Rad in den Fahrradladen gebracht und knapp 40 Euro für die Reparatur der Lichtanlage bezahlt, damit sie für den Schulweg im Winter gerüstet ist. Und jetzt? Das Ding bleibt dunkel. Vorgestern haben wir das Fahrrad ins Wohnzimmer getragen, um den Defekt unter dem Licht unserer stärksten Stehlampe zu sezieren. Ich habe die Kontakte geprüft, das Rad hochgewuchtet und das Vorderrad in Schwung gebracht, dass die Haare flogen. Das Ergebnis: vorne großes Strahlen, hinten kein blasser Schimmer. Dann habe ich die Drähte herausgezogen, gereinigt und wieder eingesteckt. Neuer Test und es ward auch hinten Licht. Problem gelöst, mit einem fröhlich leuchtenden Rücklicht fuhr Prinzessin draußen im Garten herum. Der Schulweg am anderen Tag war gesichert.

    Dachte ich.

    Gestern morgen. Draußen wieder Murmanks-Schwärze verhängt mit Nebel a là "The hound of baskervilles". "Gut, dass das Rücklicht wieder funktioniert", dachte ich zufrieden, nahm einen großen Schluck Tee, schaute Prinzessin nach und ließ fast die Tasse fallen. Vorne 1000 Volt, hinten alles dunkel.

    Am Abend das gleiche Spiel noch einmal: Ein Stück Isolierung von den Drahtenden entfernt und Rücklicht neu verdrahtet. Testfahrten durch den Garten mit einem Rad, das plötzlich wieder auf "Lichtorgel" macht. Mutter zufrieden. Hände gewaschen, Werkzeug weggeräumt.

    Und heute morgen? Scheinwerfer strahlt, Rücklicht wieder Fehlanzeige, Mutter auf 180.

    Frieren uns über Nacht im Schuppen die Kontakte ein?

    Bin ich in eine "Verstehen-Sie-Spaß?"-Folge geraten?

    Da landen wir mit Sonden auf dem Mars, können Smartphones per Fingerabdruck entsichern und schaffen es nicht, zuverlässige Leuchten für Kinderfahrräder zu entwickeln? Es hat doch nicht jeder einen Bastler zu Hause, der schon den Giro mitgefahren ist und nichts lieber macht, als vor dem Frühstück an der Isolierung von fehlerhaften Kontakten zu schnitzen.

    Deshalb habe ich immer batteriebetriebene Lichter in einem Flur im Korb, die ich schnell noch hinten an den Fahrradkorb hängen kann.



    Und diese Rückleuchte hat beim Fahrradlichter-Test der "Stiftung Warentest" von September 2013 gut abgeschnitten. Platz 3 (Note 1,4 für Zuverlässigkeit) und das bei einem mittleren Laden-Preis von 10 Euro.

    Wenn wir das Problem nicht in den Griff kriegen, werde ich diese Lampe bestellen und euch davon berichten.

    Meine Kinder fahren ohne Helm und manchmal bauchfrei zur Schule, aber beim Rücklicht verstehe ich keinen Spaß.

    Bei welchem Thema erwacht bei euch das Muttertier?

    Immer fröhlich Stecklichter und Testsieger verwenden und sonst einfach lächeln und winken.

    Eure Uta

    Freitag, 14. November 2014

    Glückliche Familie Nr. 252: "Einsames Gestrampel"


    Hier seht ihr den Kinderwagen, in dem Kronprinz lag. Meine Schwiegereltern hatten ihn noch auf dem Dachboden stehen, und wir fanden das Gefährt so heiß, dass wir unser erstes Kind darin unbedingt durch Hamburg schieben mussten. Allein die Schutzbleche und dieses Hellblau!


    In dem 50er Jahre-Geschoss lagen schon meine Schwägerin und mein Mann. Leider gingen nach einigen Runden um die Alster die Gummi-Reifen kaputt und waren nicht mehr zu besorgen, weshalb wir für Kronprinz doch noch einen neuen Kinderwagen kaufen mussten.
    Sagt jetzt bitte nichts zu der Hose, die ich trug. 

    Auf den Kinderwagen war man stolz, besonders in den 50er und 60er Jahren. Das spürte ich bei den Schwiegereltern und auch bei meinen Eltern. Für mich, die Nummer 4 zu Hause, gab es noch einmal einen neuen Wagen. Und meine Mutter strahlt heute noch, wenn sie erzählt, wie sie damit durch die Gegend lief.

    So war das in den 60er Jahren: Nachkriegzeit, frisch geteerte Straßen und gummibereifte Kinderwagen, in denen man mit vor Stolz und Milch geschwellter Brust den Nachwuchs präsentieren konnte.

    In dem Buch "Kindheiten. Wie kleine Menschen in anderen Ländern groß werden" von Michaela Schonhöft habe ich gelesen, dass die Angewohnheit, Babys in Kinderwagen zu transportieren, hauptsächlich in westlichen Industrie-Nationen verbreitet ist. Bei uns kauft doch jeder erst einmal eine "Karre", wenn der Bauch sich rundet. Anders in Afrika. Michaela Schonhöft schreibt:

    "In ländlichen Regionen Afrikas sind viele Versuche fehlgeschlagen, Kinderwagen zu vermarkten. In den größeren Städten Ghanas oder Kenias gelten Buggys inzwischen als schick, ein bisschen als Chichi, als Repräsentationsobjekt. Im Alltag tragen die Frauen ihre Kinder aber meist so lange, bis die Kleinen laufen können. Ob einkaufen, Wäsche waschen oder Essen zubereiten: Immer sind sie mitten im Geschehen, immer sind Menschen um sie herum." (ebenda, Seite 74) 

    An anderer Stelle erwähnt Schonhöft, dass hierzulande Kinderärzte raten, Babys nicht so oft auf dem Schoß zu halten, sondern lieber hinzulegen, damit sie viel frei strampeln können.
    "Ein wissenschaftlicher Zusammenhang zwischen viel einsamem Gestrampel und motorischer Entwicklung besteht allerdings nicht. In Kamerun zum Beispiel können Babys trotz des ständigen Herumtragens viel früher laufen. Die Eltern üben es gemeinsam mit den Kindern, etwas, was hierzulande wiederum als sehr verwerflich gilt." (ebenda, Seite 64)

    Aber noch einmal zurück zur "Karre", wo auch ein einsames Strampeln stattfindet. In "Kinder verstehen" schreibt Herbert Renz-Polster von heutigen Lebensräumen, die nicht unbedingt kindgerecht sind:
    "...und das gilt auch für den 'Lebensraum Kinderwagen', in dem viele Kinder viel zu viel Zeit verbringen - schirmt er die Kinder doch von anderen Menschen ab und gibt ihnen wenig Raum, um dabei zu sein, mitzumachen, mitzuschauen oder aus eigenem Antrieb mitzuspielen." (ebenda, Seite 286) 

    Damit wir uns richtig verstehen: Kronprinz und Prinzessin wurden viel getragen und im Kinderwagen gefahren. Ohne irgendeinen fahrbaren Untersatz wäre der Alltag mit Baby hierzulande sehr beschwerlich. Wir leben nun mal nicht in Kamerun und auch nicht in einer großen Sippe, wo Mutter, Tanten, Omas und Opas den Stöpsel mal schnell auf die Hüfte nehmen können, wenn wir einen Text zu Ende schreiben oder in den Supermarkt müssen.

    Trotzdem ist die Frage, wie wir unseren Babys - auch ohne von Buschland und Blutsverwandten umgeben zu sein - mehr körperliche Nähe schenken können. In Japan zum Beispiel scheint es, trotz Hochindustrialisierung zu funktionieren. Obwohl dort Kinderwägen genutzt werden, gibt es den Recherchen Michaela Schonhöfts zufolge insgesamt viel mehr Körperkontakt zu den Babys als in unseren Breiten.

    "Deutsche Mütter nehmen sich in den ersten Jahren viel Zeit für ihre Kinder, sehr innig werden sie in all diesen Stunden mit ihrem Nachwuchs aber nicht. Das deutsche, aber auch das amerikanische Baby wird permanent bequatscht, ist umgeben von sehr viel Spielzeug. Das Kind steht zwar im Mittelpunkt. Aber es liegt die meiste Zeit in seinem Bett, im Kinderwagen oder auf der Krabbeldecke. Säuglinge in Kamerun zum Beispiel, das hat die Osnabrücker Entwicklungspsychologin Heidi Keller beobachtet, erfahren dagegen permanenten Körperkontatk von sehr vielen verschiedenen Personen. Sie entwickeln dadurch ein tiefes Vertrauen, dass niemand sie im Stich lässt." (Michaela Schonhöft: Kindheiten. Seite 63) 

    Seit der Zeit, aus der unser erster Kinderwagen stammte, hat sich aber auch hierzulande viel getan. Säuglinge werden nach der Geburt nicht mehr von ihren Müttern getrennt, 23 Prozent der Deutschen lassen ihre drei Monate alten Babys regelmäßig bei sich schlafen (ebenda,  Seite 71) und man sieht immer mehr Eltern, die ihre Einkäufe in den Kinderwagen legen und das Kind im Tuch vor der Brust tragen.

    Was könnte man noch tun?

    • Der erste Schritt ist Sich-Bewusstmachen. Nach zwei Metern Erziehungsliteratur, die ich gelesen habe, ist eins unumstritten: Babys brauchen so viel liebevollen Körperkontakt zu vertrauten Menschen wie möglich. Auch Michaela Schonhöft konnte ihre erste Tochter viel besser beruhigen als sie die Bespaßungs-Rituale einstellte und - einem Rat der Hebamme folgend - ihr Kind herumtrug.
    • Apropos Hebamme. Die "sages femmes", also "weise Frauen", wie die Franzosen sie nennen, sind eine unverzichtbare Hilfe für den Start ins Familienleben. Besonders bei ihren Hausbesuchen geht ihr Rat weit über das Medizinische und Pflegerische hinaus. Ich bin nach 17 und 13 Jahren immer noch dankbar für die Hebammen, die ich hatte. 
    • Aus dem Buch "Kindheiten" hat mir auch die Idee so gut gefallen, dass Freunde eine Familie in den ersten Wochen nach der Geburt eines Kindes abwechselnd mit Essen versorgen. Eine Berlinerin, die eine Zeit lang in Washington gelebt hat, hat dort erfahren, dass sich Leute aus dem Bekanntenkreis in eine "Meals on wheels"-Liste eintrugen, um die Eltern in der ersten Zeit zu entlasten. Und wer nicht kocht, könnte ja andere Hilfen anbieten.  
    • Eine Bekannte hat mir erzählt, dass die erste Zeit mit ihren beiden Kindern sehr schwer war. Der Erstgeborene kam viele Wochen zu früh auf die Welt und musste auch zu Hause an einen Überwachungsmonitor angeschlossen werden. Das zweite Kind kam schneller als geplant. Während dieser Zerreißprobe wurde die Familie von einem älteren Ehepaar in der Nachbarschaft quasi adoptiert. Das kinderlose Ehepaar hatte gerade altersbedingt seine Reinigung aufgegeben und gab mit Freude die Ersatz-Großeltern. Bis heute (die Kinder sind etwa so alt wie meine) sind die beiden Senioren in die Familie integriert, sitzen mit den leiblichen Großeltern unterm Weihnachtsbaum und werden unterstützt, wenn sie heute altersbedingt Hilfe brauchen. Ob wir wohl fähig sein werden, in Zukunft immer mehr solche Modelle zu leben? 

    Immer fröhlich das Baby herumtragen und sich schon vor der Geburt um Leute kümmern, die es auch mal auf die Hüfte nehmen können.

    Eure Uta

    Montag, 10. November 2014

    Glückliche Familie Nr. 251: Spielzeug nur aus Holz?


    Seit längerem folge ich begeistert Caros Naturkinder-Blog. Deshalb hat es mich sehr gefreut, als ich vergangene Woche eine Mail von ihr bekam. Sie setzt sich seit einiger Zeit mit dem Thema "Plastik vermeiden" auseinander und hat gerade die Spielecke ihrer Kinder von Kunststoffen befreit. Nun fragte sie mich, ob ich aus pädagogischer Sicht etwas über Spielzeug schreiben könnte. 

    Erst war bei mir Funkstille, weil ich zwar Holzspielzeug sehr schön finde, aber nicht so kategorisch wäre, alles andere zu verbannen. Ich dachte eine Weile nach und merkte, dass sich aus meiner Einstellung zu Spielzeug ein paar Grundsätze formulieren lassen. Hier sind sie:


    Spielkameraden sind wichtiger als Spielzeug.

    Von Astrid Lindgren gibt es eine Geschichte*, die heißt "Die Prinzessin, die nicht spielen wollte". Prinzessin Lise-Lotta hatte ein Spielzimmer, das überladen war mit den kostbarsten Sachen: Puppen, Kaufmannsladen, Stofftiere, kleine Puppenmöbel, Baukästen, Malbücher und Tuschfarben. Trotzdem wollte die Prinzessin nicht spielen und saß mit hängenden Mundwinkeln inmitten dieser Pracht. Denn im Schloss gab es keine Kinder, mit denen sie hätte spielen können. Ja, sie war so abgeschnitten von der Welt, dass sie nicht einmal wusste, dass es Menschen gab, die genauso klein waren wie sie selbst. Bis sie eines Tages an einer Gittertür im hintersten Winkel des Schlossparks ein Mädchen traf.

    Maja war so arm wie die Prinzessin reich war. Aber sie hatte ein Stück Holz, dem sie eine hingebungsvolle Mutter war.

    Einem Stück Holz? Ja.

    "Sie hielt etwas hoch, was eher aussah wie ein Stück Holz mit einigen Flicken darum. Es war eine gedrechselte Holzpuppe. Vor langer Zeit hatte sie einmal ein Gesicht gehabt, aber jetzt war die Nase ab, und die Augen hatte Maja selbst wieder mit Buntstift angemalt. ... "Sie heißt Puttchen", erklärte Maja. "Und sie ist so lieb und artig!"

    Bald waren die beiden Mädchen in das schönste Spiel vertieft. Und auch die Königin, die nach langem Suchen die Prinzessin endlich hinter den Fliederbüschen entdeckte, verstand, dass Freundschaft wichtiger ist als Spielzeug.

    "Nun musst du zu Bett gehen", sagte die Prinzessin am Ende der Geschichte und beugte sich über das schmutzige Holzstück, "mein süßes, goldiges Kleines."

    Kinder brauchen Spielkameraden. Das will uns die Geschichte sagen. Aber sie enthält eine weitere Botschaft, die mich zum nächsten Grundsatz führt:


    Spielzeug muss Raum lassen für die eigene Phantasie

    Kinder brauchen Material, das sie für ihr Spiel mit Bedeutung aufladen können, das nicht fertig und perfekt ist, sondern Raum lässt für eigene Schöpfungen. Kindern zum Beispiel von Lego ein "Arktis-Zubehör-Set" mit Eispickel, Axt, Kocher mit Pfanne und einem Eisblock aus Plastik zu schenken, wie ich es jetzt im Lego-Programm gesehen habe, beleidigt ihre Phantasie. Da haben sich Erwachsene ausgetobt, alles bis ins letzte Detail ausgestaltet und hatten ihren Spaß. Für Kinder bleibt keinerlei schöpferische Lücke. So etwas wird mit Papa nach Anleitung zusammengesteckt und verstaubt dann im Regal.

    Deshalb würde ich bei Lego keine Themen-Sets wie "Müllabfuhr" oder "Peter Pans Besuch" kaufen, sondern eine große Platte und einen Kasten Grundbausteine. Dann hat das Kind alle Möglichkeiten der Welt.

    Und Bausteine aus Holz natürlich. Die braucht man in allen Größen und Formen. Während Lego feinmotorisch eine neue Welt erschließt und Bauwerke ermöglicht, die mit glatten Steinen nicht halten, fordern Bauklötze das Austarieren, das Gleichgewicht-Finden von Objekten und den Spaß beim Einstürzenlassen. Mit Bauklötzen erleben Kinder die Gesetze der Statik.

    Und die Höhle, die aus dem Spiel heraus aus Decken und Matratzen entsteht, macht mehr Spaß als das fertig gekaufte Indianerzelt.

    Das Vergnügen entsteht aus dem, was Pädagogen "Selbstwirksamkeit" nennen. Zu erleben, dass eine Idee die andere jagt, und zu erfahren, dass ich alleine oder mit anderen etwas ganz Neues erschaffen kann, ist die größte Freude überhaupt.

    Deshalb brauchen Kinder "Rohmaterial": Eine große Kiste voller Bauklötze,  Zugang zu Dingen des Haushalts (Schneebesen, Nudelholz, Löffel, Plastikbecher, Töpfe ...), Decken, Kissen, kleine Matratzen, Seile, Gummi-Twist, Kugeln, Bälle, Schienen, Fahrzeuge, etwas auf Rädern, das man durch die Gegend schieben kann (Puppenwagen, Rollbrett, Seifenkiste), weißes Papier, Farben, Stifte .... draußen: Sand, Wasser, Stöcke, Steine, Blätter ...


    Jedes Kind sucht sich die Objekte, die es braucht.

    Als ich Kind war, wohnte neben uns ein kinderloses Ehepaar, das mehrere Vorzüge besaß: Es war nett, hatte einen Airedale-Terrier namens Adda und schenkte uns ein kleines, weißes Porzellan-Pferd. Es hatte eine Schulterhöhe von vielleicht vier Zentimetern und streckte den Hals, als witterte es Fluchtmöglichkeiten aus dem Wohnzimmerschrank. Das kleine Pferd übte auf mich eine magische Anziehungskraft aus. Ich baute ihm eine Hochebene aus Lexikon-Bänden, errichtete Zäune und Hindernisse aus Buntstiften, ließ es über die Teppich-Pampa galoppieren und lobte es, indem ich ihm mit dem Zeigefinger den sehnigen Hals klopfte.

    Ich kann mich nicht erinnern, dass es Ärger gab, als das erste Bein brach. Bald hatten alle vier Beine des Pferdes feine Ringe, wo sie an den Bruchstellen mit Sekundenkleber wieder angeklebt wurden.

    Das kleine Pferd stammte aus einem feinen Laden und war bestimmt nicht zum Spielen gedacht. Aber in einer Phase meiner Kindheit brauchte ich dieses Pferd und kein anderes.

    In der ganz frühen Kindheit von Prinzessin (heute 13) brauchte sie das dicke Hamburger Telefonbuch. Sie war ungefähr einhalb Jahre alt, als sie eine kurze Phase durchlebte, in der sie stundenlang in den dünnen Seiten blätterte. War es das Knistern? Die Glätte des Papiers? Das Gewimmel tausender kleiner Zeichen?

    Der fünfjährige Sohn einer meiner Leserinnen liebt Elektrogeräte: Alte Radios, Schallplattenspieler, Tischstaubsauger, ausrangierte Computer ... Mit Kabeln und verbogenen Antennen baut er sie zu neuen Objekten zusammen. Wenn ihm jemand ein Spielzeug-Radio aus Holz mit aufgemalten Tasten und einer Jute-Kordel als Kabel schenken würde, wäre er in seiner Ehre tief gekränkt. Wenn man diesem Kind nur Holzspielzeug geben würde, würde man ihm nicht gerecht.

    Damit wären wir beim nächsten Punkt:


    Nicht jedes Holzspielzeug ist wertvoll, nur weil es aus Holz ist.

    Ja, auch ich liebe Holz. Es fängt schon damit an, dass ich beim Essen keine Plastik-Flaschen auf dem Tisch ertrage und auch in der Küche darauf achte, dass möglichst viel aus Holz, Porzellan, Kork oder Metall ist.

    Spielen aber ist ein "Sich-zu-eigen-Machen" unserer Welt. Und aus unserer Welt sind Kunststoffe schwer wegzudenken. Die, die spielen (die Kinder) sollten (in gewissem Rahmen) selbst bestimmen dürfen, womit sie spielen. Deshalb würde ich persönlich meinen Kindern nicht Sachen wegnehmen, nur weil sie aus Plastik sind.

    Warum sie der Erfahrung berauben, dass Plastik schmilzt, wenn man es bügelt (Bügelperlen), dass Dosen herrlich scheppern, wenn man sie abwirft, dass es einen berauschen kann, wenn Matchbox-Autos über das glatte Parkett schießen? (Bei Holzautos hat man doch eher das Fahrgefühl mittelalterlicher Karren.)

    Klar, als Erwachsene vermitteln wir Werte. Und auch ich finde es furchtbar, wenn Wale sterben, weil sie unseren Müll schlucken.

    Aber ich mag es lieber, wenn wir Kinder durch unsere Begeisterung und Leidenschaften anstecken, als sie mit Restriktionen und Belehrungen zu gängeln. Bitte keine Kindheit unter erhobenem Zeigefinger.

    Ein Kind, das erlebt, wie Mama sich freut, einen Bilderrahmen abzuschleifen, oder wie Opa mit Hingabe einen Kaninchenstall baut, wird nachhaltig beeindruckt sein. Der Duft von Holz, das Kringeln der Späne, das Malen im Holzstaub. Das wird viel wirksamer sein, als wenn die Eltern mit inquisitorischem Eifer den Plastik-Kram aus dem Kinderzimmer verbannen.


    Freude ist wichtiger als Prinzipien-Reiterei.

    Der Sohn unserer Nachbarn bekam einst von seiner Oma ein Auto geschenkt, das sie auf einem Jahrmarkt gekauft hatte. Der Rennwagen war ferngesteuert, bezog die Kraft für seine unbändige Raserei aus einer fetten Blockbatterie und hatte ein Tuning, das die Testosterone in Wallung brachte. Das Schlimmste aber war der Lärm. Nur wenn sich das Geschoss hoffnungslos im Sofa verkeilt hatte, konnten die Erwachsenen an der Kaffee-Tafel einen Moment aufatmen und sich wieder ohne Lippenlesen verständigen.
    Für den Jungen und die Oma war das ein unvergesslicher Tag, so ein Tag mit "Aber-bitte-mit-Sahne"-Freude, ausgelassen und unvernünftig.

    Eine ähnliche Freude habe ich mit meiner Oma erlebt.
    Ich bin nicht plastikfrei aufgewachsen, aber meine Mutter legte Wert auf sinnvolles Spielzeug: keine Barbie-Tussies, dafür Käthe-Kruse-Puppe, Holzbaukasten, Nähmaschine zu Weihnachten, Schulwebrahmen, Jugend-Literatur-Preis-Bücher ... Zudem wurde bei mir zu Hause getöpfert, gestrickt, emailliert, gelötet, bleiverglast und aus Jutegarn Wandbehänge geknüpft.

    Franziska, meine Käthe-Kruse-Puppe, mit einem Plastik-Freund vom kleinen Kronprinzen. 

    Eines Tages aber (war es mein Geburtstag?) stand meine Oma vor der Tür mit einem großem Paket vom Discounter, darin eine lebensgroße E-Gitarre aus Plastik.
    Dass ich etwas geschenkt bekam, dass nicht durchdacht und mit allen Erziehungsberechtigten abgesprochen war, sondern schrill, scheppernd und unnötig, war ein großer Spaß für mich. Es war - ehrlich gesagt - auch das einzige Geschenk von ihr, das mir in Erinnerung blieb.

    Deshalb finde ich, sollte man dringend auch mal seine Grundsätze durchbrechen ... auch die, die ich hier genannt habe.
    • Auch wenn ich die Grundbaukästen von Lego besser finde: Nicht die Patentante mit einem Fluch belegen, nur weil sie das Arktis-Zubehör-Set mit dem aufklappbaren Plastik-Eisblock geschenkt hat. 
    • Auch mal einen Herzenswunsch des Kindes erfüllen, selbst wenn das Objekt der Begierde an Scheußlichkeit nicht zu übertreffen ist. 
    • Nicht Rumzicken, wenn der Partner nach der Dienstreise den Sohn mit einem Voll-Plastik-Parkhaus überrascht. (Der Streit schadet dem Kind mehr, als dass die Schelte dem Globus nützt.)  

    Immer fröhlich die Kinder spielen und die Omas schenken lassen und nicht immer alles lenken wollen.

    Eure Uta


    PS: Die Geschichte "Die Prinzessin, die nicht spielen wollte", ist aus dem Buch "Astrid Lindgren erzählt", Hamburg 1971, Seite 227.

    Zum Thema passt auch das wunderschöne Bilderbuch "Sturm-Stina" von Lena Anderson. Stina verbringt den Sommer immer bei ihrem Opa auf einer Insel. Das Mädchen sammelt alles, was das Meer anspült: Federn, Stöcke, alte Flaschen, bestimmt auch Plastik :-), bis es eines Nachts von einem Sturm überrascht wird ...

    Donnerstag, 6. November 2014

    Glückliche Familie Nr. 250: Gegen das Amputieren


    Ich kann nicht behaupten, dass mir Joggen Spaß macht. Tanzen macht mir Spaß, ja, aber Laufen ist öde. Seit Jahren, ja Jahren, warte ich auf das berühmte "Runner's High", diese Ausschüttung von Glückshormonen, von denen passionierte Läufer berichten. Manchmal denke ich: "Uta, komm, noch eine Hausecke weiter, dann hast du auch eine Ausschüttung." Aber nix.

    Ich laufe ohne Ehrgeiz. Ich will keine bestimmte Kilometer-Zeit erreichen, und dass ich die Treppe im Park nicht schaffe, ohne mehrmals die Aussicht sehr gründlich zu genießen, stört mich nicht.

    Eine gute Freundin von mir läuft auch. Aber eher langsam. Vor einiger Zeit hat sie ein Geher überholt.

    Wer mich sieht, wundert sich vielleicht über meinen Laufstil: Ich hebe die Füße höher als nötig, damit ich nicht in die nächste Pfütze schlage, wenn ich gucke, wie die Nachbarin das Fenster dekoriert hat oder wie vor der Jugendstilvilla die Kürbisse arrangiert sind. Es kann auch sein, dass ich eine Vollbremsung einlege und zurück trippele, weil ich eine Balkonbepflanzung so schön finde oder einen knorrigen Ast aus dem Park mitnehmen muss. Einmal habe ich mich frühmorgens auf einem Friedhof verlaufen, weil um die nächste Ecke wieder ein Engel war, der so zauberhaft verwittert war.

    Auch wenn mir das Laufen als Sport keinen Spaß macht, gehe ich seit zehn Jahren laufen, weil ich dabei so schöne Dinge entdecke und weil ich einfach weniger zum Arzt muss. Wenn mir jemand sagt, er habe keine Zeit dafür, sage ich immer: "Und ich habe keine Zeit, in Wartezimmern rumzuhängen." Denn seit ich laufe (zweimal pro Woche 30 Minuten früh am Morgen) habe ich im Winter höchstens mal einen Schnupfen.
    Bronchitis oder Lungenentzündung, seit meiner Kindheit bis Mitte 30 mehrfach gehabt, kenne ich nur noch aus der "Apotheken-Umschau".



    Als ich die Schuhe kaufte, gab sich der Verkäufer viel Mühe, mit der Video-Analyse auf dem Laufband herauszufinden, wie ich den Fuß abrolle und welches Fußbett ich brauche. Dabei war mir von vorne herein klar, dass ich die will, wo das Pink so schön heraus blitzt :-)

    Vorgestern Abend war ich bei einem Vortrag eines Sportmediziners in unserer Schule. Der Professor jagte uns durch eine Präsentation mit Grafiken, die zeigten, woran die Kinder erkranken können, wenn sie nicht von klein auf daran gewöhnt sind, sich viel zu bewegen: Adipositas, Depressionen, unerklärliche Kopfschmerzen, Diabetes schon bei Jugendlichen... Spätestens als der Professor erwähnte, dass alle paar Sekunden weltweit ein Körperteil amputiert wird, weil die Leute durch Bewegungsmangel und zu viel Essen Diabetes bekommen, rutschten die ganzen Mütter und die zwei Väter im Geo-Raum auf ihren Stühlen rum und waren sofort bereit, die gezeigte Übung für die Rückenmuskulatur zu machen.

    In der Regel zerbrechen sich Eltern den Kopf, wenn die Mathe-, Deutsch- oder die Englisch-Stunden ausfallen. Hat man aber die Kernspin-Aufnahmen eines Gehirns vor und nach dem Sport gesehen, bekommt man Lust, die Schule zu verklagen, wenn der Sportunterricht ausfällt: Hohe Aktivität der Nervenzellen in verschiedenen Hirnarealen, bessere Verarbeitung verschiedener Informationen gleichzeitig, besseres räumliches Denken, Stimmungsaufhellung .... Die Aufnahmen zeigen Hirnmasse, die nach dem Sport wie ein Kürbis leuchtet, während das Hirn ohne Sport wie ein grauer Klumpen aussieht.

    Das hat mich überzeugt: Ich habe Kronprinz (17) und Prinzessin (13) beim Frühstück (heute aus aktuellem Anlass Müsli-Bar mit Obst) von dem Vortrag erzählt, worauf sie gar nicht wagten zu fragen, ob ich sie bei dem Bindfadenregen zur Schule chauffieren würde.
    Ich bin unter den Matschhimmel getreten und bin Laufen gegangen, obwohl das für heute gar nicht auf dem Plan stand. Und nach Regenlauf, Pfützenhüpfen und heißer Dusche hatte ich eine Gehirnaktivität, die mich verleitete, dieses hier zu schreiben.

    Wie kriegt man Kinder in Bewegung? Ein Brain-Storming:

    • Sie bei längeren Hausaufgaben zwischendurch einmal das Treppenhaus hoch und runter oder um das Haus oder den Block jagen. (Ich habe dann gerne ihre Zeit gestoppt. Das war immer ein Anreiz.)
    • Bei der Wahl der Schule der Frage "Kann mein Kind da alleine hinlaufen oder mit dem Fahrrad hinfahren?" ein viel größeres Gewicht geben, als die meisten Eltern es tun. Wer vor dem Unterricht eine längere Strecke gelaufen oder Rad gefahren ist, ist deutlich aufnahmefähiger als die Kinder, die mit dem Bus oder dem Auto gekommen sind. (Das wiegt vieles auf, was vielleicht für die Schule spricht, die weiter entfernt ist.)
    • Selber Sport treiben.
    • Korb mit Schaumstoffbällen, Jonglierbällen und Springseil in die Wohnung stellen. (Selbst Teenager greifen gerne darein und kommen schnell in Bewegung.)
    • Stange für Klimmzüge über dem Türsturz, Ballettstange und Spiegel im Zimmer, Hula-Hoop-Reifen
    • für draußen: Schaukel, Turnstange, Trampolin, Fußballtore, Basketballkorb
    • Für Jugendliche besonders klasse: Tischtennisplatte. Wir haben in diesem Sommer eine angeschafft und hatten die vergangenen Monate sehr viel Spaß damit. An milden Abenden sind Kronprinz und Prinzessin oft spontan nach draußen gegangen, um noch eine Runde zu spielen oder sich beim Rundlauf mit Freunden um die Platte zu hetzen.

    Was habe ich vergessen? Her mit der Schwarm-Intelligenz!

    Immer fröhlich sich bewegen.

    Eure Uta


    PS: Eine Frage in eigener Blog-Sache: Wenn ich vor ihrer Veröffentlichung Kommentare lese, werden sie mir nur bis zu einer bestimmten Länge angezeigt. Was darüber hinaus geht, kann ich erst sehen, wenn es veröffentlich ist. Hat jemand eine Ahnung, wie ich das ändern kann? Ich habe mich schon quer durch die Foren gelesen, aber keine Lösung gefunden. Für einen Tipp wäre ich echt dankbar!