Samstag, 16. August 2014

Glückliche Familie Nr. 236: Mission Maus


Es wird ja immer befürchtet, dass Jungs durch Computer- und Videospiele verrohen. Auch mir wird Angst und Bange, wenn ich im Augenwinkel sehe, wie Kronprinz (16) schießend und brandschatzend durch die virtuelle Welt zieht.

War es richtig, ihm den Wunsch nach diesem Spiel zu erfüllen? Sinkt die Gewalthemmung, stirbt das Mitgefühl?

Ein kleines Ereignis in dieser Woche lieferte die Antwort auf diese Fragen.

Kronprinz saß im Wohnzimmer an der Spielkonsole (diesmal spielte er allerdings "Fifa"), als unser Kater mit einer Maus im Maul von draußen kam. Während ich nichts unternahm, weil ich das für ein normales Mäuseschicksal hielt, sprang Kronprinz auf, verbaute dem Kater die Fluchtwege und packte ihn beherzt. Vor Schreck ließ der die Maus entkommen, die sich noch so guter Gesundheit erfreute, dass sie unters Klavier rennen und sich dort verschanzen konnte.

Kronprinz und ich lagen bäuchlings vor dem Instrument und leuchteten mit einer Taschenlampe darunter. Zwei Knopfaugen sahen uns an, der kleine Körper bebte. "Oh, wie süß", sagte der Kronprinz, während ich mich bei Überlegungen ertappte, wie lange es dauern würde, bis sich der erste Verwesungsgeruch im Wohnzimmer verbreiten würde.

Der Kronprinz aber war fest entschlossen, die Maus zu retten. Er zog einen Gartenhandschuh an die linke Hand und schob mit der Rechten behutsam einen Stock unter das Klavier, um die Verfolgte hervorzutreiben, zu greifen und nach draußen zu tragen. Die Mission schlug fehl. Sie förderte nur Wollmäuse zutage. Schließlich holte er aus dem Keller ein dickes Brett und bockte mit aller Kraft das Klavier auf. Jetzt konnte sich die Maus wieder bewegen. Sie rannte am Regal vorbei in die Ecke mit dem Bügelbrett und verschanzte sich dort. Die Playstation brummte, das Spiel lief weiter, aber ohne Kronprinz. Der hatte sich der "Mission Maus" verschrieben.

Er trieb und lockte, baute Fluchtwege und sprach Mut zu, hätte - wenn möglich - eine Pfote gehalten oder Blutdruck gemessen. Endlich schaffte es die Maus raus auf die Terrasse. Dort hockten die beiden: hinter dem Fallrohr von der Dachrinne das kleine bebende Tier, davor der Berserker aus der Playstation-Welt.
"Meinst du, sie hat innere Verletzungen?" fragte er. "Ich weiß es nicht", sagte ich und dachte: "Gleich wird er die Maus beatmen." Aber da huschte sie ins Gebüsch.


Gulliver - sieht harmlos aus, zeigt aber kein Mitgefühl für Mäuse. 

Ich bin fest davon überzeugt, dass Jugendliche verrohen, wenn sie selber roh behandelt werden, dass sie kein Mitgefühl entwickeln, wenn sie selber von klein auf kein Mitgefühl erfahren haben. Und dann tun Gewaltvideos oder blutrünstige Computerspiele vielleicht ihr Übriges.

Aber das Jugendliche, die in einem liebevollen Elternhaus heranwachsen, allein dadurch zu Gewalttätern werden, dass sie medial Gewalt ausüben, halte ich für völlig unwahrscheinlich.

Kinder brauchen - gerade wenn sie halbwüchsig sind - Eltern oder andere Menschen, die sich aufrichtig dafür interessieren, was für ein Mensch sie sind. Dazu gehört auch, ihre Vorlieben und Interessen zu respektieren, die sich naturgemäß nicht mit denen ihrer Eltern decken. Und wenn es Probleme gibt, sollte man sich möglichst ohne Vorverurteilung darum bemühen zu verstehen, was dahinter steckt.

Als eine Kollegin meiner ältesten Schwester erfuhr, dass einer ihrer Söhne eine Droge ausprobiert hatte, tankte sie das Auto voll, befahl den jungen Mann auf den Beifahrersitz und fuhr und fuhr mit ihm auf der Autobahn, bis sie die Nordsee erreicht und verstanden hatte, wie er sich in eine solche Situation bringen konnte. "Im Auto", erklärte sie, " da ist kein Entkommen, da kann man einfach am besten reden."

Sich immer fröhlich und vorurteilsfrei für die Halbwüchsigen interessieren, gute Zeit mit ihnen verbringen und sich wegen der Medien nicht den Kopf zerbrechen.

Eure Uta