Samstag, 31. Mai 2014

Glückliche Familie Nr. 222: Mein lieber Tinnitus


Gestern Abend begann es in meinem linken Ohr zu pfeifen. Hoch frequent, Dauerton. Ich bat Prinzessin (13), den Fernseher auszuschalten. Sie schaute einen Film, in dem computer-animierte Erdhörnchen tanzten und sangen. Die Erdhörnchen verstummten, in meinem Schädel phiebte es weiter. Ich richtete die Rotlicht-Lampe auf mein Ohr. Bei beginnenden Ohrenschmerzen hilft mir Rotlicht immer. Aber durch die Wärme schien die Pfeife in meinem Kopf erst so richtig zu Höchstform aufzulaufen.

Ich legte mich ins Bett. Ich dachte, wenn die Pfeife mitkriegt 'Jetzt ist Schlafenszeit' wird sie verstummen. Das ist das mit der Vorbildfunktion. Ist ja schließlich ein Erziehungs-Blog hier.

Aber die Pfeife war ein kleiner Tyrann und verstand nicht. Ich versuchte, das Geräusch im Kissen zu dämpfen. Das machte es nur schlimmer. Beim Tinnitus hat jemand den Bock zum Gärtner gemacht. Das Ohr produziert selber das Geräusch, unter dem es leidet. Ich wäre gerne ohne meinen Kopf aus dem Schlafzimmer gegangen. Nur wenigstens einmal kurz zur Toilette. Bitte.

Nichts zu machen.

Irgendwann muss ich eingeschlafen sein, erwachte aber im Morgengrauen zusammen mit der Pfeife. Immer noch dieser Ton. Ich schlich mich aus dem Bett ins Arbeitszimmer und googelte Hörsturz und Tinnitus. Mehrere Beiträge behandelten auch die seelischen Ursachen. Ich las und las. Und mir wurde klar, wie sehr ich mir in den vergangenen Tagen das Hirn zermartert hatte, ob ich eine bestimmte Zusatzausbildung in Eltern-Coaching machen soll oder nicht, ob der Soßenkönig das nun unterstützt oder nicht, ob er ein Schuft ist oder ein Held, ob ich noch wahnsinnig werde, weil ich nicht weiß, ob die Entscheidung falsch ist oder mir einfach nur der Mut fehlt.

Beim Lesen über die seelischen Ursachen wurde ich plötzlich dankbar. Dankbar für die Pfeife, dankbar für den Körper, der genial ist und einem völlig kostenlos die besten Hinweise gibt. Der schrille Ton war wie ein Reset für meinen Kopf: "Aufhören zu denken, leben!" - "Du musst nicht den großen Durchbruch schaffen, nichts beweisen, einfach leben." - "Mache die Arbeit, die du liebst, und wenn die Fortbildung passt, dann passt sie."

Es war kurz nach sechs, als ich den Computer endlich ausschaltete. Ich hörte das Ticken der Uhr auf dem Schreibtisch, sonst nichts. Nichts!!!!!!

Ich war selig, bin selig und schreibe dies hier.

In dem Buch "Das Polaris-Prinzip. Entdecke, wozu Du bestimmt bist - und tue es!" von Martha Beck gibt es eine Stelle, die dazu passt:

"Ein alte daoistische  Geschichte erzählt von einer Gruppe konfuzianistischer Gelehrter beim Spaziergang am Fluss. Bei einem Katarakt (Wasserfall, Anm. der Bloggerin) entdecken sie plötzlich einen menschlichen Körper in den wild über die Felsen schäumenden, tosenden Fluten. Entsetzt laufen sie ans Ufer, um den Leichnam herauszufischen und dann zu bestatten, wie es sich gehört. Wie staunen sie, als ein alter Mann dem Wasser entsteigt, sich abtrocknet und davongeht. Als die gelehrten Männer sich wieder fassen, laufen sie dem Alten nach und fragen: 'Wie hast du das gemacht? Niemand kann in diesem Wasser schwimmen, ohne sein Leben zu verlieren.' - 'Ach', sagt der alte Mann, 'das ist eigentlich ganz einfach. Man bewegt sich aufwärts, wo das Wasser aufwärts strömt, und abwärts, wo es abwärts strömt." (S. 25/26)

Daoisten - so schreibt Martha Beck weiter - glauben an eine unermessliche wohlwollende Kraft, die in allem wirkt. Und wir seien ebenfalls ein Teil dieser Kraft.


Warten auch auf die richtige Strömung - Fischerboote am Strand von Loenstrup, Dänemark (eigentlich durchgestrichenes o, finde ich aber nicht auf meinem Laptop)


Immer dankbar auf die Signale des Körpers hören und fröhlich auf die Strömungen im eigenen Leben achten.

Eure Uta