Dienstag, 12. November 2013

Glückliche Familie Nr. 181: Königin der Körperzellen


Gestern las ich ein älteres "Brigitte"-Dossier. Dort ging es darum, welches Verhältnis wir zu unserem Körper haben. Dass wir kontrollwütig mit einem Gerät joggen, das die Anzahl der verbrauchten Kalorien zählt. Dass es sogar Leute gibt, die mit einem kleinen Monitor am Körper überwachen, wie viele Tiefschlafphasen sie nachts hatten. Vom permanenten Auf-der-Waage-Stehen ganz zu Schweigen.

Kontrolle ist das eine, Wut und Hass auf den eigenen Körper das andere Phänomen.
Die Autorin erzählte von einer Yoga-Stunde, in der der Yoga-Lehrer die Gruppe bat, sich am Ende auf der Matte auszustrecken, die Augen zu schließen und sich vorzustellen, man trete als Herrscher seiner Körperzellen auf einen Verkündigungsbalkon und richte eine Ansprache an sein Volk.

Bei dieser Vorstellung bekam die Journalistin Herzrasen. Denn sie stellte mit großem Schrecken fest, dass ihre Rede aus Hass-Tiraden bestand. Sie beschimpfte ihre Untertanen, dass sie versagen würden beim Abbau der Fettpolster, Straffen der Haut, Abwehr der Grippe-Attacken und vielem anderen mehr.

Es war eine lange Liste. Bei mir wäre es Haarausfall, krumme Beine, Augenringe und Halskratzen. Und richtig ausfällig wurde ich neulich, als ich beim Ausknipsen der Nachttischlampe erstes Winkfleisch am Oberarm erblickte.



Ja, ja, dass man sich selber lieben soll, ist bekannt. Aber dieses Bild von den Abermillionen Körperzellen, die unter dem Verkündigungsbalkon stehen und auf meinen Zuspruch und meine Fürsorge warten, ging mir richtig unter die Haut, ... die Straffe, die Wunderbare, die mit Sommersprossen gesprenkelte, die an manchen Stellen charaktervoll Erschlaffende.

Eine Königin der Herzen will ich sein für meine Körperzellen und begann sogleich, tiefer zu atmen. Jeder Zug eine Audienz für meine Lungenbläschen, jedes Gliederrecken eine Aufwartung bei den Gelenken. Dankbar gedachte ich all der Angriffe, die dieser Körper schon abgewehrt hatte, der Kinder, die er geboren, den Sportarten, die er absolviert hatte.

Den Rest des Tages war ich tiefenentspannt. Beim Großeinkauf legte ich auch eine Flasche Wasser in den Einkaufswagen und trank sie noch im Auto aus, weil ich so durstig war (ohne Dossier hätte ich das auf Zuhause verschoben). Daheim ließ ich Einkäufe und Küchen-Chaos links liegen, weil Prinzessin (12) Hilfe brauchte bei ihrem Vortrag über das Atemsystem der Weinbergschnecke.
 "Wir sind das Volk", riefen die Körperzellen, "gönn' uns eine Pause und mach' dir einen Tee." Das war ein Volksentscheid. Dem musste ich folgen. Ich ignorierte das Küchen-Chaos und las einen schönen Text. Wohlig müde lag ich später im Bett, reckte meinen Arm zur Nachttischlampe und zwinkerte dem Winkfleisch zu.

Immer fröhlich Freundschaft schließen mit dem eigenen Körper

Uta