Montag, 16. September 2013

Glückliche Familie Nr. 168: Freiheit, 6. Woche


Die neue Freiheit von Prinzessin (12) geht in die sechste Woche.

Seitdem darf sie jederzeit an den Computer oder an das iPad, wenn die Geräte frei sind.

Nur die Regel, dass sie ins Bett gehen darf, wann sie will, haben wir zurückgenommen. Und wir haben neu mit ihr ausgehandelt, dass um 22 Uhr jedes internetfähige Medium das Zimmer verlassen und sie im Bett liegen muss.

Ich hätte sie gerne noch ein bisschen an die Hand genommen im "world wide wep", sie geschützt vor  Soaps über geistlose Zickenkriege, vor Gewaltszenen oder Videos, triefend vor sexuellen Anspielungen.

Dass Kinder Ruhe brauchen und eine gehörige Portion Langeweile, habe ich im Elterntraining erzählt.

Aber keiner von uns hat mehr Langeweile. Wir Großen schon gar nicht.

"Das nennt man 'Kill-time-application'", sagt mein Mann und meint all die Smart-Phone-Apps, die wir nutzen, sobald sich in unserer besessenen Geschäftigkeit die kleinste Lücke auftut.

Kurzes Anstehen in der Supermarktschlange? Schnell die Mails checken.
Warten auf die S-Bahn? Eine Runde "Tetris" spielen.
Die Freundin hat sich verspätet? Kurz einen Blick auf den Wohn-Blog werfen.

"Oh-m-m-m-m-m." Gegen die permanente Zerstreuung hilft nur Meditation,
habe ich gedacht und mich im Schneidersitz in meinen Ohrensessel gesetzt, die Hände wie zwei undichte Schalen auf den Armlehnen, die Augen geschlossen.

Mein Atem war tief, sehr tief, mein Kopf war leer, sehr leer, als plötzlich ein Fellklumpen mit Krallen in meinem Schoß landete. Aus vollem Lauf war der Kater in meinen Schoß gesprungen. "Wommmm" statt "Ommmmm".

Seitdem habe ich eine seltene Form von Trauma: "Angst vor Tiefflug-Katzen in Meditations-Situationen."

Im Startloch vor dem nächsten Tiefflug?

Also, was die permanente Zerstreuung angeht, sind wir Erwachsenen nicht besser als die Kinder.

Und auch wenn es ein wenig danach klingt, als hätten wir kapituliert, ist meine Bilanz der neuen Medienfreiheit für Prinzessin positiv.

Ich kann sie heute nicht mehr so behütet aufwachsen lassen, wie ich aufgewachsen bin. Das ist nicht zu schaffen, das laugt mich aus.

Dafür werde ich jetzt jeden Tag in den Arm genommen und darf auch sie herzen, wenn mir danach ist.
Die neue Freiheit ist Alltag geworden, schöner Alltag.

Wahrscheinlich ist das gute Verhältnis, das wir seit Start des Freiheit-Projekts haben, der bessere Schutz vor schlechten Einflüssen als ein Klein-Klein an Restriktionen.

Für die nächste Meditation hänge ich mir folgendes Zitat von Jesper Juul als Mantra vor die Nase:

"Was unsere Kinder in der Pubertät brauchen, ab zwölf, 13, 14 Jahren, ist eigentlich nur das: zu wissen, auf dieser Welt gibt es einen oder zwei Menschen, die wirklich glauben, dass ich ok bin. Das brauchen sie. Viele von uns haben keinen solchen Menschen in unserem Leben. Mit einem kann man gut überleben, mit zwei kann man wunderbar leben." Jesper Juul: Pubertät. München 2010, S. 23

Immer fröhlich zum Meditieren den Kater und das Smartphone aussperren

Uta