Mittwoch, 28. August 2013

Glückliche Familie Nr. 164: Die Gedanken und ihre Küken


Hier seht ihr mein "Best-Life"-Buch. Alle paar Tage halte ich eine Erkenntnis über mein Leben darin fest.




Früher habe ich Tagebuch geschrieben und darin mein Herz ausgeschüttet.

Mein "Best-Life"-Buch ist konstruktiver. Die Erkenntnis steht im Vordergrund, nicht irgend ein Kummer. Das hilft mir, wieder auf meine Spur zu kommen und mich weiter zu entwickeln.

Häufig halte ich auch Schönes darin fest. Das verstärkt die Freude, macht mich dankbar für mein Leben und zieht noch mehr Freude an.

Ein Geheimnis glücklichen Lebens ist es, sich von Zeit zu Zeit zu fragen: "Bin ich noch auf meiner Spur oder möchte ich etwas verändern?"

Das habe ich bei John Izzo gelesen, der 235 ausgewählte Menschen zwischen 59 und 105 Jahren nach ihren Ratschlägen für ein erfülltes Leben gefragt hat.
"Das Geheimnis, das ich aus all den vielen Interviews herausgehört habe, lautet also: Höre nie auf, dich zu fragen, ob du der Stimme deines Herzens folgst. Prüfe, ob das Leben, das du führst, auch das deine ist. ... Die Menschen, denen ich im Rahmen des Projekts begegnet bin, haben sich diese Fragen immer und immer wieder gestellt und wie ein Segler, der auf hoher See gegen starken Wind aufkreuzt, haben sie ständig ... kleine Kurskorrekturen vorgenommen, um am Ende genau dort anzukommen, wo sie hinwollten." (Izzo, S. 68)

Das hat mich beruhigt. Ich dachte schon, ich übertreibe das mit dem Reflektieren.

Die Postkarte benutze ich als Lesezeichen. Es ist ein Foto von Georg Karlstetter als Karte erschienen im Freudensammler Verlag 2009


"Mich wieder auf Spur bringen" heißt für mich, die Gedanken zu wählen und aufzuschreiben, die ich denken will.

Denn mit den Gedanken und den Emotionen verhält er sich wie mit der Entenmutter und ihren Küken*: Die Emotionen folgen den Gedanken, nicht umgekehrt.

Manchmal schreibe ich nur einen Satz, zum Beispiel:

"Probleme sind Gelegenheiten zur Weiterentwicklung."

Immer schön darauf achten, von welchen Gedanken man sich leiten lässt, und natürlich fröhlich bleiben

Uta


PS: Das Experiment "Freiheit" mit Prinzessin (12) ist jetzt drei Wochen alt. Weil es sich zeigte, dass sie zu wenig Schlaf bekommt, habe ich mit ihr über die Zu-Bett-geh-Zeit gesprochen. Sie war einverstanden, spätestens um 22 Uhr im Bett zu liegen. Den Tag über mit Medien und Hausaufgaben läuft es weiterhin gut. Stimmung und Lebensqualität sind deutlich besser. Schulisch müssen wir die Langzeitwirkungen abwarten.

Bewährt hat sich auf jeden Fall, dass beide Seiten (Kind und Eltern) mal erfahren, wie es mit weniger Grenzen läuft und dann darüber zu sprechen, wo man modifizieren möchte. Verrückterweise sind es häufig die Kinder, die sich dann selbst strengere Regeln auferlegen und auch einhalten, weil diese Regeln ja plötzlich von ihnen selber kommen.

* Dieser Vergleich stammt von dem amerikanischen Psychologie-Professor David D. Burns.

Sonntag, 25. August 2013

Glückliche Familie Nr. 163: Leserbrief


Zu dem Post "Die neue Freiheit" habe ich eine Mail von Lisa bekommen, die ich mit ihrer Erlaubnis veröffentlichen darf. 

In ihrer Mail wird so schön deutlich, wie anspruchsvoll es ist, den Familienalltag so steuern, dass alle damit klar kommen. Aber lest einfach selber.


Hallo Uta,

ich lese immer wieder deine neuen Blogeinträge. Jetzt wollte ich dir mal von uns berichten.

Wir haben drei Kinder 17, 15, 11. Ich habe letztes Jahr in den Sommerferien auch das Projekt „Freiheit“ bei Kind 1 gestartet. Ich war es so leid, ständig die Motzkuh zu sein. Da er in die 9. Klasse  kam, konnte ich das Experiment  nach den Ferien weiter laufen lassen, denn die kommenden Noten hatten ja noch keine Abi-Bedeutung (jetzt ab Klasse 10 zählen ja bereits alle Klausurnoten fürs Abi). Und ich hatte ein so ungutes Gefühl. D. ist eigentlich DER Medienkerl.Am liebsten mit Handy und Laptop vor der XBox. Die XBox steht auch bei D. im Zimmer (Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte es das alles erst mit 18 gegeben, aber ... ich habe ja nicht alles alleine zu entscheiden) Und das ist auch gut so.
Die Zeit in den Ferien war echt hart für mich.Die Nächte wurden an der XBox durchgespielt, geschlafen - wenn überhaupt - tagsüber. Dann fing die Schule an und ich war echt gespannt.
Nach kurzer Zeit kam D. von sich aus zu uns und sagte, dass er nur noch am Wochenende XBox spielen würde. Beim Spielen würde er kein Ende finden und dann würde das alles nicht hinhauen. Da habe ich aber gestaunt. Ich hätte nicht gedacht, dass er das so hinbekommt. Wann er den Fernseher ausmacht und/oder sein Handy das letzte Mal abends benutzt, weiß ich nicht so genau.
Aber bei seinen Schulnoten hat sich nichts geändert und auch sonst ist er der „Alte“ geblieben. Da D. unheimlich viel Schlaf braucht, kommt es aber auch vor, dass er für zwei Freistunden nach Hause kommt, sich auf die Couch legt und die zwei Stunden schläft. Aber das ist mir  egal.  Eigentlich muss ich sagen, ist es echt entspannt geworden. Obwohl es mir besonders in den Ferien schwer fällt, ihn einfach zu lassen. Aber ich habe auch festgestellt, dass es Zeiten gibt, in denen er sich fast ausschließlich verabredet und gar nicht an der XBox oder am Rechner ist.
Soviel zu Kind 1.


Nun Kind 2.
Unsere S. ist medientechnisch  vollkommen unkompliziert. An den Rechner geht sie nur um zu facebooken, in Onlineshops zu stöbern oder Bilder zu bearbeiten. Die XBox meidet sie komplett, weil sie keinen Spaß an Spielen hat. Wenn sie aus der Schule nach Hause kommt, isst sie auch am liebsten vor dem Fernseher. Bevorzugt bei „Shopping Queen“ und am allerliebsten, wenn ich mich dazu setze, weil sie immer viel zu erzählen hat. Aber ich lasse sie da auch. Sie hat  lange Schultage, teilweise kommt sie erst um 18 Uhr wieder. Klar, ihr Handy nutzt sie auch viel, um zu „Whatsappen“, aber ich denke, sie merkt schon, wenn es Zeit ist zu schlafen. Da bin ich echt stolz. Trotz Freund und uneingeschränkten Medienzugang hat sie den Wechsel auf das Gymnasium (nach dem Realschulabschluß) perfekt geschafft.


Nun Kind 3.
Unser B. (11 Jahre alt), das absolute Medienkind. Durch zwei große Geschwister und einen Vater, der sehr viel in der Medienbranche unterwegs ist, wurde er von klein auf - meiner Meinung nach - viel zu viel und viel zu früh mit Medien bespaßt.
B. wollte jetzt auch mal uneingeschränkte Medienfreiheit. Okay, in den Ferien, dachte ich mir, kann ich es mal ausprobieren. Projekt gescheitert. Dieses Kind schafft es, sich morgens vor die Glotze zu setzen und ausgiebig allen Terror-TV-Mist aufzusaugen. Auf den Beinen das Laptop. Dort macht er allerdings keine Spiele, sondern erstellt Powerpoint-Präsentationen über Fußball-Vereine oder die schönsten Strände der Welt. Eigentlich ja ganz okay. Wenn der Bruder dann erwacht, verschwindet er in D.s Zimmer und wird nicht mehr gesehen. Er muss den ganzen Tag nichts essen oder trinken, so ist er in den Medien versunken. An der XBox spielen die Jungs nur "Fifa" oder "Mario Kart". Andere Spiele haben wir nicht. Irgendwann kommt er dann runter mit roten Augen und fängt an zu motzen, wenn ich um 23 Uhr sage, dass es Zeit fürs Bett ist.

Versuch gescheitert.

Vielleicht versuche ich es in den nächsten Ferien noch einmal.

Ich finde es sehr interessant zu sehen, wie unterschiedlich Kinder aus einer Familie sein können, die alle die gleiche Wertvermittlung und Erziehung genossen haben.

Das von mir so geliebte gemeinsame Essen hat sich auf einmal die Woche reduziert. Aber bei drei Schulkindern, die täglich so unterschiedliche Schulzeiten haben (der eine hat zur dritten Stunde Schule dafür dann 10 Stunden, der nächste zur nullten Stunde kommt dafür aber schon nach der siebten Stunde wieder...) ist das einfach nicht möglich. Abends sind dann alle mit ihrem Training oder Verabredungen beschäftigt. Alle Kinder spielen Basketball und die Jungs noch Tischtennis. Der Sonntagabend ist jetzt unser Abend zum gemeinsamen Essen.

Noch viel Erfolg mit deinem Versuch.

Liebe Grüße

Lisa


Liebe Lisa, vielen Dank, dass Du mir so ausführlich geschrieben hast und ich Deine Mail veröffentlichen durfte! 

Mittwoch, 21. August 2013

Glückliche Familie Nr. 162: Vorstadtkrokodile


Mir ging es ja richtig gut in der neuen Freiheit.

Ihr hättet hören können, wie ich "Living in an easy way" summe und mit einem Stapel frischer Wäsche die Treppe hinauf gehe.

Ihr hättet sehen können, wie ich Prinzessin (12) begegne und wieder spontan geküsst werde.

Ihr hättet hören können, wie sie die Schultasche greift und mir zuruft: "Ich mach dann mal Geo." Und ich nur singe: "Ja, wie du meinst." Und lächend meiner Wege ziehe.

Die Stimmung zwischen Prinzessin und mir war wie ausgewechselt.

Spontan-Umarmungen, längere Berichte aus der Schule, sogar Instagram-Fotos ihrer Freundinnen wurden mir gezeigt.

Ich merke: Wenn die Beziehung zum Kind gut ist, habe ich es leichter, Dinge durchzusetzen, die mir wichtig sind.

Als ich am Freitagnachmittag nach Hause kam, guckte Prinzessin fern.

"Das kann ich jetzt echt nicht haben. Mach bitte den Fernseher aus", bat ich. Ich musste zwar noch einmal bitten, aber dann tat sie es ohne Murren.

Mir gefällt gut, wie Tanja Haeusler in dem Buch "Netzgemüse" die Auseinandersetzungen mit ihren Söhnen beschreibt. Da spielt der Jüngere ein Video-Spiel und braucht noch fünf Minuten, ehe er zum Abendbrot kommen kann.
Mutter kennt das Spiel und weiß, dass er alle erarbeiteten Punkte wieder verliert, wenn sie ihm nicht noch fünf Minuten gibt, um das Level zu schaffen. Sie hat einen guten Tag und statt zu brüllen: "Du kommst sofort oder du darfst morgen gar nicht an den Rechner!", setzt sie sich dazu und feuert ihn bei der finalen Monsterjagd an.

Man kann davon ausgehen, dass Haeuslers danach ein nettes Abendbrot hatten.

Im Alltag mit mehreren Kindern ist das kaum umzusetzen.

Aber ab und an kann man ein Signal setzen und zeigen, ich verstehe deine Bedürfnisse und verteufele nicht alles, was du zum Beispiel am Bildschirm machst.

Bei vielen Eltern spüre ich ein graues Grundmisstrauen gegen alles, was ihre Kindern begeistert - wenn es nicht zufällig die Viola da Gamba ist.

Apropos Misstrauen.

Euch ist sicher nicht entgangen, dass ich am Anfang die Vergangenheitsform gewählt habe.

Was ist passiert?

Gestern beim Frühstück erwähnte Prinzessin, dass die Klasse eine Abschiedsparty geben möchte für einen Mitschüler, der mit seiner Familie für drei Jahre ins Ausland zieht. Sie dürften in dem alten Haus von Simon feiern. Das stünde jetzt leer, weil die Familie umgezogen sei.

Party in einem leerstehenden Haus?

Uta assoziiert Drogendealer, Vandalismus, betrunkene Jugendliche, die nicht eingeladen waren.

"Simons Eltern werden dabei sein", versichert Prinzessin.

"Sie hocken sich in das verlassene Haus?" - "Ja, hat Simon gesagt."

Ich runzele die Stirn, sie fährt ohne Winken zur Schule.

Prinzessin, wieder abgetaucht.

Am Nachmittag telefoniere ich mit meiner Freundin. Ja, sagt sie, eine Weile ist man gut unterwegs mit den Kindern und vertraut ihnen und dann springt einen wieder irgendein Teufelchen an und man bekommt es mit der Angst zu tun.

Ich muss an Max von der Grüns Buch "Vorstadtkrokodile" denken, wo Kinder in einer verlassenen Fabrik die tollsten Abenteuer erleben. Nach genau solchen Abenteuern sehnen wir uns für unsere Kinder, rufen aber schon auf ihrem Handy an, wenn sie mal eine halbe Stunde später aus der Schule kommen.

Am Abend erkundige ich mich bei Prinzessin vorsichtig nach der Party. Die ganze Klasse ist beteiligt, die Kinder haben Einkaufslisten geschrieben und aufgeteilt, wer welche Besorgungen macht. Es war als Überraschungsparty für Tim gedacht, der unter einem Vorwand in das Haus gelockt werden sollte. Nur leider hat sich Leon verplappert. Prinzessin ist enttäuscht.

Gut, dass ich die Kurve gekriegt, noch einmal mit ihr gesprochen und diesmal auch zugehört habe.

Zwar ist mir immer noch mulmig beim Gedanken an diese Party und ich weiß noch nicht, wie wir damit umgehen werden. Aber zumindest sind wir wieder im Gespräch. Prinzessin taucht wieder langsam auf.

In einem meiner schlauen Bücher habe ich gelesen, dass Menschen entweder gesteuert werden von Angst oder von Liebe.

Mit Liebe läuft es besser.

Immer schön die Angst-Teufelchen in die Flucht schlagen, klar denken und lieben

Uta

Freitag, 16. August 2013

Glückliche Familie Nr. 161: Neue Freiheit


Seit vergangenen Sonntag läuft in diesem Haus ein Experiment:

Wir, der Soßenkönig und ich, geben Prinzessin (12) (fast) völlige Freiheit.

  • Sie darf jederzeit an den Computer oder das iPad (es sei denn, jemand anderes möchte daran).
  • Wir fragen sie nicht danach, ob sie die Hausaufgaben fertig hat.
  • Wir lassen sie ins Bett gehen, wann sie möchte. 

Vergangenen Sonntag haben wir ihr dieses Experiment vorgeschlagen. 

Ich habe ihr gesagt, dass ich keine Lust habe, noch länger die Polizistin zu spielen und zu kontrollieren, wie lange sie am Computer ist, ob das iPad unter der Bettdecke liegt, die Vokabeln gelernt, die Schulsachen gepackt sind. 

Wir haben gesagt, dass wir von klein auf bei ihr beobachtet haben, dass sie alles, was sie wirklich will, erreichen kann (selber Schleifebinden und Fahrradfahren beigebracht).

Wir haben gesagt, dass sie uns fragen kann, wenn sie bei Schulaufgaben Hilfe braucht. Dann helfen wir. Allerdings nur bis 21 Uhr abends. 

Prinzessin war erleichtert. Ist ja auch ein Schock, wenn plötzlich beide Erziehungsberechtigten im Zimmer stehen und ein Gespräch wollen. Sie willigte freudig ein.

Ihr fragt euch, was das wieder für ein Projekt ist?

Immer wieder schreibe ich von Vertrauen und dass das die Kinder stärkt. Trotzdem wurde ich immer wieder rückfällig. Ich habe befürchtet, als zu weich zu gelten, als jemand, der verantwortungslos ist oder - für mich das Schlimmste - als jemand, der es sich zu leicht macht. 

Schluss damit! 


Magnet-Schild von Julia

Nach vier Tagen neuer Freiheit ziehe ich eine erste Bilanz:
  • Die Stimmung ist deutlich besser.
  • Ich freue mich jetzt, wenn sie aus der Schule kommt.
  • Sie geht für meinen Geschmack zu spät ins Bett (22.30 Uhr), steht aber ohne zu meckern um 6.30 Uhr auf.
  • Sie gibt mehr eigenes Geld für online-Spiele aus (das sehe ich, weil die Abrechnung bei mir landet).
  • Sie hat gestern mit Hausaufgaben begonnen, die nicht für den anderen Tag waren.
  • Ich höre sie den halben Tag singen.
  • Sie bleibt nach den Mahlzeiten länger am Familientisch sitzen.

Am Montag hat sie mir beim Mittagessen erzählt, wie sie sich die Zeit einteilen möchte und hat so viel aus der Schule berichtet, dass ich fast Fieber gemessen hätte. Auf dem Weg in ihr Zimmer machte sie auf der Treppe noch einmal kehrt und umarmte mich stürmisch.

Als ich die Brille gerade gerückt und die Haare gerichtet hatte, stand ich noch eine Weile in der Küche und spürte das Glück in meinem Körper kribbeln.

Ob es von Dauer ist, werde ich berichten.

Immer fröhlich den Mut haben, sich zu verändern

Uta

Dienstag, 13. August 2013

Glückliche Familie Nr. 160: Die Reitstunde


Prinzessin (12) wollte wieder mit dem Reiten anfangen. Deshalb waren wir gestern zu einer Probe-Reitstunde in einem großen Stall, den wir nur vom Hören-Sagen kannten.

In der Halle vier Reitschülerinnen zwischen zehn und 13 Jahren, in der Mitte Herr Hohlbein*, der Leiter der Reitschule.

Es wurden Steigbügel nachgezogen, es wurde angetrabt, es wurde geschnaubt und gepupst (die Pferde), es wurde geschimpft (Herr Hohlbein).

Prinzessin musste mit Luna aus der Formation ausscheren und neben dem Reitlehrer halten.

Wie sie denn die Gerte halte und warum sie keine vernünftigen Reithandschuhe hätte und ob sie kein T-Shirt tragen könne, das nicht rutscht. Ein anderes Mädchen musste durchparieren, weil der Gurt unter ihrem Helm zu locker war.

Gut, dachte ich, der Mann legt Wert auf Sicherheit. Das ist wichtig in einem Reitstall.

"Ich habe gesagt 'angaloppieren'. Warum gibst du dem Pferd keine Hilfen? Du sollst hinten reinsitzen. Zügel lockerer." -"Zügel zu stramm." -"Fersen nach unten." - "Was machst du mit der Gerte?" - "Ach", Hohlbein lachte höhnisch, "heute setzten wir die Gerte mal ganz  e-m-o-t-i-o-n-a-l  ein."

In den ersten Runden warf Prinzessin mir ein Lächeln zu. Aber dann war es verloren gegangen in dem Gebrüll, dem braunen Staub, dem Klackern der nass gesabberten Trensen.

Gut, dachte ich, man soll die Kinder nicht in Watte packen, ein bisschen Disziplin und Ordnung kann nicht schaden.

"Soll das ein Zirkel sein, Annabell? Ich habe gesagt, du sollst den Zirkel ausreiten", brüllte Hohlbein, zog seine ärmellose Weste straff über die geschwollene Brust und räusperte sich: "Ich stehe in dem Ruf, dass ich meine, was ich sage..."

Hohlbeins Gebrüll in der ganzen Halle, nur ab und an ein Hufschlag gegen die Bande. Ein Kater schlich sich durch die Tür.

Viele Tiere hier, dachte ich, Pferde, Hunde, Katzen und ein Gockel.

"Der Herr Hohlbein", fragte ich eine Mutter, die neben mir auf der Tribüne saß, "ist der immer so oder hat er einen schlechten Tag?" -

"Das ist ein Reitlehrer der alten Schule. Aber die Kinder lernen viel." -

"Ach, und wie lange reitet ihre Tochter schon bei ihm?"-

"Zwei Jahre." -

"Und wie verträgt sie das so?" -

"Manchmal gibt es Tränen. Aber wir gehen immer zu ihm, weil bei ihm die Pferde so gut parieren."


Ja, "abäppeln" und die Reitlehrer alter Schule aus der Halle räumen! 

Jetzt hatte Hohlbein wieder Prinzessin im Visier. "Du sollst beim Leichttraben nur umsitzen, wenn der Rhythmus nicht stimmt. Nicht, weil ich dich anspreche." - "Okay, mach ich." - "Du sollst auch nicht 'okay' sagen, du sollst machen, was ich sage." - "Okay, ... äh, tschuldigung". "Du sollst mich auch nicht angucken, wenn ich mit dir spreche, sondern gucken, wo du hinreitest."

Mutter litt auf der Tribüne. Ich merkte, wie ich dem alten Gartenstuhl aus Plastik, in dem ich saß Galoppierhilfen gab, ich presste meinen Hintern tief in das schmuddelige Kissen, schlang meine Beine außen um die Stuhlbeine und drückte die Waden entschieden gegen das Plastik. Ich presste die Lippen zusammen, richtete meinen Blick starr auf die Bande. Der Stuhl parierte, aber das Gebrüll ging weiter.

Schließlich trottete ich erschöpft hinter Luna und Prinzessin in die Luna-Box. Prinzessin zerrte den Sattel vom Pferd. "Soll ich eine weitere Probestunde buchen?" fragte ich flüsternd. - "Bist du des Wahnsinns", zischte sie. "Hier komme ich nie wieder hin. Du kannst froh sein, dass ich dem Typen keine gelangt habe."

Mein Mund stand so weit offen, dass ein Strohballen hineingepasst hätte.

Benommen nahm ich den Reithelm, wir verabschiedeten uns.

"Ach, sieh mal einer an: Madame lässt Mama alles tragen und läuft unbeschwert nach Hause." -

In der Stallgasse drehte ich mich um. "Herr Hohlbein", sagte ich, "keine Sorge, diese Dinge regeln wir unter uns."

Dann war endlich Ruhe.

Jeden Tag lerne ich ein bisschen mehr Wehrhaftigkeit von meiner Tochter.

Immer fröhlich sich von den Kindern "eine Scheibe abschneiden" und sich nie abfinden mit dem Drill der "alten Schule", denn Lernen durch Erniedrigung hat noch nie funktioniert, auch wenn es immer noch Menschen gibt, die daran festhalten

Uta

*Name von der Bloggerin geändert

Freitag, 9. August 2013

Glückliche Familie Nr. 159: "Nerd"-Nachhilfe


Bei uns hat die Schule wieder angefangen. Neue Stundenpläne hängen in der Küche mit Spalten, die weit über die Blattmitte ragen. Prinzessin (12) hat zweimal pro Woche bis spätnachmittags Schule, Kronprinz (15) dreimal. Donnerstags ist er wegen der Bigband-Probe sogar von 8 bis 18 Uhr in dem roten Backsteinbau stadtauswärts.

"Darf ich vor dem Computer essen?"

Das ist die erste Frage, wenn sie heimkehren.

Vielleicht seid ihr jetzt geschockt, aber ja, gestern habe ich erlaubt, dass sich jeder gleich ins Zimmer verschanzte.

Prinzessin thronte mit Laptop und einer Schale Johannisbeeren in ihrem Bett.

Nebenan saß der Bruder im abgedunkelten Zimmer, die Füße in einer Schüssel mit kaltem Wasser, im Mund Garnelen-Curry vorm Vortag, der Blick starr auf dem Bildschirm.

Wieder unten trat ich auf die Terrasse. Die Sonne fingerte durch den Apfelbaum und sprenkelte die Kissen in der Hängematte, die niemand nutzt. An der Turnstange kein Kind, nur eine fette Spinne beim Schweinebaumeln.

Da könnte man den Blues kriegen. Den klassischen Eltern-Blues.

Warum tun sie nichts Sinnvolles? Frische Luft, Freunde treffen, Dosen kicken? Meinetwegen Freibad. "Ich fahr euch schnell."

Da fiel mir ein, was Tanja und Jonny Haeusler in ihrem Buch "Netzgemüse. Aufzucht und Pflege der Generation Internet." schreiben:
"Als unser jüngster Sohn einmal nach der Schule Minecraft spielen wollte, schlugen wir vor, er möge doch stattdessen ... nach draußen gehen, um mit den anderen Kindern Fußball zu spielen. Doch er antwortete sehr bestimmt: 'Ich komme gerade aus der Schule. Ich habe den ganzen Tag mit vielen anderen Kindern und mit vielen Lehrern zu tun gehabt. Ich will jetzt einfach mal meine Ruhe haben und etwas alleine tun'." 

"Sinnvoll" und "Bildschirm" - für viele Eltern geht das nicht zusammen. Vor Cybermobbing wird gewarnt, Video-Spiele als Killergames diskreditiert.

Aber ist sinnvoll nur das Spiel mit der Waldorfpuppe unterm Hortensienbusch?




Ist immer sinnvoll, was ich in meiner Freizeit tue?

Meine Kinder könnten klagen: "Mama ist wieder draußen und schneidet Rosen. Dabei hat sie immer noch Lücken bei der Computer-Nutzung. Neulich wusste sie nicht einmal, was ein Browser ist. Wenn sie sich nur täglich eine halbe Stunde hinsetzen und sich mit den Programmen befassen würde, könnte sie in ihrer Altersklasse mithalten. Aber nein, dazu hat sie nicht die Disziplin. Vielleicht sollten wir einen 'Nerd' von unserer Schule fragen, ob er ihr Nachhilfe geben kann."

Sich immer fröhlich einen frischen Blick dafür bewahren, was unsere Kinder tun und wie wir es bewerten

Uta

PS: Liebe Seifenfrau, danke für den Netzgemüse-Buchtipp!

Dienstag, 6. August 2013

Glückliche Familie Nr. 158: Gestörte Logopädin in Elternzeit


Ich stand in unserer Bankfiliale hinter einem jungen Mann, der in unserem Stadtteil bekannt ist, weil er einer der wenigen Tagesväter in Hamburg ist. Von Zeit zu Zeit sehe ich ihn mit einem Bollerwagen mit vier oder fünf Kindern darin durch den Park ziehen.

Heute wollte er am Bankschalter Geld abheben und hatte zwei Jungen im Alter von knapp drei Jahren bei sich. Die Jungen stürzten sich sofort auf die Spielecke mit der Holzeisenbahn.

"Oh, da werden Sie Schwierigkeiten haben, die wieder loszueisen", sagte der Mann hinter dem Schalter, als er dem Tagesvater das Geld auszahlte. "Das gibt garantiert Geschrei. Deshalb habe ich jetzt immer Gummibärchen hier." Er tauchte unter den Tresen.

Der Tagesvater aber steckte das Geld ein, rief "Los Jungs!" und verschwand. Die Jungen ließen den Holzzug auf offener Strecke stehen und rannten ihm nach.

Stille in der Bank.

Als der Mann am Schalter seine Sprache wieder fand, meinte er nur: "Na, so kann es auch gehen."

*

Neulich morgens im Supermarkt beobachtete ich eine Mutter mit einem kleinen Mädchen, das etwa eineinhalb Jahre alt war. Die Frau füllte den Einkaufswagen und schob ihn langsam in den nächsten Gang. Das kleine Mädchen fuhr mit seiner Hand über die Spätzle-Tüten im Regal. Ich sah, wie sie das Knistern genoss, ihr dann die Mutter wieder einfiel und ihr schnell hinterherlief. 

Ich war fasziniert von diesem unaufgeregten Einkauf mit Kleinkind und folgte dezent.

Das Mädchen ließ sich kurz tragen, um Nähe zu tanken und entwand sich wieder dem Arm seiner Mutter. Die Frau verglich Gemüsekonserven, ihre Tochter Senf-Sorten. Als das Mädchen ein Glas mit Schattenmorellen aus dem Regal nahm, dachte ich: "Jetzt wird Mama einschreiten." Ich hielt den Atem an, war kurz davor selber hinzuspringen, als das Mädchen das Glas unfallfrei zurückstellte und Mutter und Kind friedlich zur Kasse zogen.

*

Ich würde so gerne ausprobieren, ob ich mit meinem Wissen von heute mit kleinen Kindern auch so entspannt sein könnte. 

Was habe ich mich früher gestresst! 

Zwar habe ich Kronprinz (heute 15) auch im Supermarkt laufen lassen, aber als hochnervöse Mutter des Typs "Ich-mache-mein-Kind-zum-Lebensprojekt" war ich ihm immer auf den Fersen. Mit meinem Atem im Nacken musste er gar nicht selbst darauf achten, dass er Anschluss hielt. 

Wenn er nach den Nudeln im Regal griff, war Uta sofort auf Augenhöhe und sagte: "Ja, das sind Torrr - te - lini. Die können wir auch mal kochen" ...  sanft natürlich und voller Verständnis.

Ich erschloss mit dem Kind die Lebenswelt "Einkauf" und nannte die Produkte überdeutlich beim Namen, weil ich in einem Erziehungsratgeber gelesen hatte, man solle das Kind "in Sprache baden", damit es einen großen Wortschatz entwickele. 

So rannte ich hinter meinem Erstgeborenen durch den Supermarkt, eine Frau, die verhindern musste, dass der Kleine "nine-eleven" mit Konserventürmen spielte und die dabei überdeutlich Worte formte.
Wahrscheinlich hielten die Leute mich für eine gestörte Logopädin in Elternzeit. 

Da der kleine Prinz nicht Verantwortung dafür übernehmen musste, mich nicht zu verlieren (eine Fähigkeit, die jedem Kind angeboren ist, weil es früher mal überlebenswichtig war), hatte er jede Menge Zeit, Blödsinn zu machen und zu testen, wann ich mit dem pädagogischen Getue aufhören und die Fassung verlieren würde. Und ich hatte gar keine Zeit mehr, richtig einzukaufen, nahm den falschen Blätterteig, vergaß die Sahne.


Kronprinz auf der Flucht vor über-ambitionierter Mutter


Warum es bei mir nicht funktionierte mit dem lässigen Einkauf, habe ich erst verstanden, als mir meine Freundin Jean Liedloffs Buch "Gegen die Zerstörung unserer Glücksfähigkeit in der frühen Kindheit" schenkte.

Auf ihren Expeditionen zu den Yequana-Indianern im Dschungel Venezuelas hat Liedloff insgesamt zweieinhalb Jahre bei diesem Stamm gelebt, um heraus zu finden, warum sie so offenkundig glücklich waren. Dabei richtete Liedloff ihr Augenmerk besonders auf den Umgang mit Kindern. Sie schreibt:

"Ein Kleinkind der Yequana würde es sich nicht im Traum einfallen lassen, sich auf einem Waldweg von seiner Mutter zu entfernen, denn die Mutter blickt nicht um sich, um festzustellen, ob es wohl folgt, sie gibt ihm nicht zu verstehen, dass es eine mögliche Wahl gebe oder dass es ihre Aufgabe sei, sie zusammenzuhalten; sie verlangsamt lediglich ihren Schritt so weit, dass es mithalten kann." (ebd., S. 115)

Die Yequana, so die Forscherin, würden die Fähigkeit zur sozialer Kooperation schon bei den Kleinsten als gegeben voraussetzen. Kinder so zu betüddeln, wie es in westlichen Zivilisationen üblich sei, käme ihnen wie eine Beleidigung der angeborenen Stärke von Kinder vor. Gleichwohl bieten die Yequana ihren Kindern immer Nähe und Schutz, allerdings nur, wenn die Kinder danach verlangen.


Liedloff auf unseren Alltags-Dschungel übertragen bedeutet:
  • mit kleinen Kindern seine Arbeit machen* 
  • (gemeint sind Alltagsverrichtungen, weniger die Doktorarbeit, die noch zu schreiben ist)
  • sie dabei sein lassen
  • sie möglichst auch etwas "arbeiten" lassen
  • ihnen beiläufig Nähe geben, wenn sie es brauchen 
  • und sie in Ruhe lassen, wenn sie kein Nähebedürfniss signalisieren
  • als Eltern oder Betreuer im Park, Wald, Supermarkt seinen eigenen Weg gehen
  • das Kind im Augenwinkel halten, aber ihm nicht ständig auf den Fersen sein

Klar, dass wir nicht an der vierspurigen Hauptstraße die Yequana-Überlebens-Nummer machen, aber sonst jeden fröhlich seiner Wege gehen lassen

Uta

* Da fällt mir sofort meine Oma ein, die mit Enkelkind auf der Hüfte Kaffee einschenkte.