Montag, 30. Dezember 2013

Glückliche Familie Nr. 190: Inneres Leuchten


Am Samstag saß ich in der Morgendämmerung neben dem getunten Weihnachtsbaum und überlegte mir Vorsätze für 2014.

Aber statt zu gucken, womit ich aufhören muss oder was ich dringend tun sollte (denn das kommt alles von außen, schadet mir, halte ich sowieso nicht durch), kochte ich mir meinen Lieblingstee, zündete eine Kerze an und ließ in ihrem Licht einen Altsilber-Zapfen schimmern.
Ich atmete so tief ein und aus, dass es einen kleinen "Xaver" gab für die Flamme und sinnierte über folgende Fragen:
  • Was tut mir gut im neuen Jahr?
  • Was inspiriert mich?
  • Was ist es, was mich zum Leuchten bringt?
  • Wofür brenne ich? (Das ist mehr als 'Wozu habe ich gerade Lust?', das geht tiefer.)
  • Wofür strenge ich mich gerne an?
Als ich neulich bei meiner Schwester vor der Pinnwand in ihrer Küche stand, entdeckte ich einen Spruch, den ich ihr mal aus einer Zeitschrift ausgerissen hatte.

"Du sollst die werden, die du bist."

Das ist ein so schöner Gedanke, oder? Dass wir im Laufe unseres Lebens immer mehr die Person werden, die in uns angelegt ist. Und wenn wir diese Person dauerhaft ignorieren, kriegen wir "Burn-out". 
Nicht von der Menge an Arbeit oder Verantwortung, sondern davon, dass wir unsere Natur verleugnen.

Am Samstag konnte ich nicht mehr so richtig über meine Natur nachdenken, weil wir zu meinen Eltern fuhren und in Münster Station machten. Da gab es zunächst wenig, was mich zum Leuchten brachte. Die glückliche Familie saß in einer Tiefgarage in einer Parkhausschlange fest. Vor uns Autos, hinter uns Autos, überall dicke Luft. Am Prinzipalmarkt ließen wir uns an Schaufenstern vorbeischieben und bestellten Pommes und Wurst in einer Seitengasse. Der Soßenkönig bezahlte mit einem Schein und sagte: "Stimmt so." Der Wurstmann knallte Münzen auf den Tresen und blaffte: "Wir nehmen kein Trinkgeld." - "Sowas nennt sich Dienstleistungsmetropole", grummelte mein Mann und wir schoben weiter durch das Gedränge.


Münster, Prinzipal-Markt

Später zog ich alleine durch die Stadt, kaufte Socken, lauschte einem Pianisten auf dem Markt, suchte in der Lamberti-Kirche nach meiner Inspiration für 2014. Erschöpft ließ ich mich schließlich neben meinem Mann auf das Hotel-Bett sinken.
"Guck mal, der Artikel ist doch was für dich", meinte der Soßenkönig und schob mir sein iPad rüber.

Ich las diesen Artikel über die "Erziehung zum Elternsein" von einer Drehbuchautorin, die eine Ausbildung bei Jesper Juul absolviert hat. Und ich war einfach nur selig.

"Kennst du diese Ausbildung?", fragte mein Mann.

"Ja, davon habe ich schon gelesen." -

"Warum erkundigst du dich nicht mal danach?"-

"Ja, du sagst doch immer, dass ich mich noch zu-Tode-fortbilden werde und dass ich einfach loslegen soll mit dem Eltern-Coaching." -

"Ja, das stimmt. Aber so, wie sich das hier liest, steht dein Name quasi vorne drauf."

(Auch wenn er so ungeduldig werden kann in Parkhäusern und an Bratwursttresen - ist er nicht zum Küssen, dieser Mann?)

Manchmal zerbreche ich mir den Kopf über die Lampedusa-Flüchtlinge und den Weltfrieden und fühle mich so ohnmächtig. Jetzt weiß ich wieder, dass der Weltfrieden eine Nummer zu groß für mich ist. Der Frieden in Familien - das ist mein Ding, das ist das Gebiet, wo ich meinen Beitrag leisten kann, wofür ich mich gerne anstrenge, was mich zum Leuchten bringt.

Also ganz tief aus mir drin und aus dem Internet mein wichtigster Vorsatz für 2014: Ich mache mich schlau über die Juul-Fortbildung und - wenn alles passt - melde ich mich an.

Und ihr?

Werdet ihr 2014 wieder ein Stück mehr der Mensch, der ihr wirklich seid?

Wovon seid ihr beseelt?

An dieser Stelle möchte ich euch ganz herzlich dafür danken, dass ihr meinem Blog folgt, mir so viele anerkennende Kommentare schreibt, mir eure guten Wünsche schickt und mir aus eurem Leben erzählt  und immer wieder Anteil nehmt an meinem Leben mit Soßenkönig, Kronprinz (16) und Prinzessin (bald 13).

Ganz herzlichen Dank dafür!

Ich wünsche euch allen ein rauschendes Silvester-Fest und ein erfülltes Jahr 2014

Eure Uta 

Sonntag, 22. Dezember 2013

Glückliche Familie Nr. 189: Eis am Stiel und Baum-Tuning


Wir befinden uns in der letzten Phase der Weihnachtsvorbereitungen. Prinzessin (12) möchte noch ins Einkaufszentrum, um Geschenke zu besorgen, aber ich habe längst abgeschlossen mit dem Einkaufszentrum. "Du kannst ein Gedicht schreiben oder etwas basteln, aber ich setze keinen Fuß mehr ins Einkaufszentrum."

Jetzt ist die Phase der Gutscheine, der großen Versprechungen. "Frühstück ans Bett", "Einladung zum Döner-Mann", "Dreimal Rasenmähen im Sommer" ausgedruckt in Zapfino -Schrift.

Da können wir schon den Baum aufgestellt haben, die ersten Kirchenglocken läuten und es kommen noch so Fragen wie "Meinst du, Oma freut sich über eine Handcreme?"

Ich fürchte, das haben die Kinder von mir. Wenn es in letzter Minute nicht stressig wird, ist es kein Weihnachten.

Ich erinnere mich an eine Straußenvogel-Marionette, die ich als Kind meiner Schwester Nummer 3 gebastelt habe. Die Füße bestanden aus Joghurt-Bechern, Hals und Beine aus Wollkordel und der Körper aus einer Styropor-Kugel, die in einen Buttermilchbecher gedrückt und mit Federn gespickt wurde. Es war eine halbe Stunde vor der Christmette, als der Styropor-Popo aus dem Becher rutschte, davon kullerte und alle Federn verlor. Den Vogel ohne Unterleib und mir verband die Verzweiflung und sich endlos ziehende Uhu-Fäden.

Irgendwie habe ich es noch geschafft. Und wer Spaß an Klebstoff-Schnüffeln hat, wäre neben mir in der Kirche sehr glücklich geworden.

Das ist schöner Stress. Der andere aber, der kommt mir nicht ins Haus. Die Selbstvorwürfe, dass man wieder zu spät angefangen hat, dass man Weihnachten einfach nicht unter Kontrolle kriegt, zu blöd ist, sich frühzeitig um das Familienfoto für die Grußkarten, das perfekte Zimtparfait und die liebevollen Geschenkanhänger zu kümmern.

Jetzt ist die Phase, in der man Mut zur Lücke braucht.

Ich sage euch mal meine Lücken:
  • Der Saxophon-Lehrer hat diesmal keine Kekse und keine Karte bekommen.
  • Das Haus ist nicht wirklich weihnachts-fein. Seit der Flurrenovierung in der vergangenen Woche liegt fast überall noch ein feiner Staub vom Wändeabschleifen. Hier im Arbeiszimmer kann man mit dem Finger Weihnachtsmotive zeichnen auf dem Sideboard, dem Drucker-Deckel, der Fensterbank. Braucht jemand Vorlagen zum Runterladen oder ein Tütchen weißen Staub? Einfach nur einen Kommentar mit deinem Namen ...

Provisorische Flur-Garderobe, fotografiert durch den Spiegel, der noch schief hängt.

  • Wir waren gestern erst unterwegs, um einen Weihnachtsbaum zu schlagen. Der Schönste, den wir gefunden haben, braucht mehrere Ast-Transplantationen. Soßenkönig und Kronprinz (16)  haben jedes Jahr viel Spaß damit, Löcher in den Stamm zu bohren und Äste kunstvoll zu versetzen. Für das Baum-Tuning braucht man: Bohrmaschine, Sekundenkleber und eine klare Vorstellung von der Kegelform eines Weihnachtsbaumes.
  • An Heilig-Abend gibt es bei uns keine Ente, die ständig begossen, keinen Fisch, der auf den Punkt gegart werden muss. Bei uns hat das Büfett der Lieblingsspeisen Tradition. Jedes Familienmitglied darf sich zwei oder drei Speisen wünschen. Die Bedingung ist: Es muss etwas sein, das fertig gekauft oder mit wenig Aufwand vorbereitet werden kann. Meistens sind es: Kartoffel-Salat und Würstchen, Tim-Mälzer-Dessert mit Tiefkühl-Himbeeren (Soßenkönig), Eis am Stiel und Mini-Pizzen (Prinzessin), Kartoffel-Salat, Mini-Pizzen, Räucherlachs und Domino-Steine (Kronprinz) und Vitello-Tonnato, Anti-Pasti vom Griechen und Tiramisu (Uta). Nur den Kartoffelsalat machen der Soßenkönig und ich am Heilig-Abend morgens selber. Der Rest wird gekauft oder am Vortag gemacht und in der Küche auf Platten angerichtet, dazwischen Zapfen und weiße Kugeln ... (Kalorien: keine Ahnung, Nährwert: wahrscheinlich gering, stressfreie Freude: jede Menge)

Und ihr? Welche Ideen habt ihr, die alles leichter machen? Wo habt ihr Mut zur Lücke? Wo seid ihr herrlich unperfekt?

Unser Weihnachtsmotto lautet nicht nur "Let it snow", sondern  auch "Let it flow".

Immer fröhlich bleiben

Eure Uta

Sonntag, 15. Dezember 2013

Glückliche Familie Nr. 188: Vom Sein und Haben von Küchenwischlappen


Was ich gar nicht mag, ist das "für-diesen-Menschen-muss-ich-auch-noch-ein-Geschenk-haben"-Gefühl. Wenn das Herz nicht überläuft und ich nicht schenke aus einer inneren Fülle heraus, sondern weil es Erwartungen gibt.

Es ist ein schales Gefühl. Verloren streicht man durch das Einkaufszentrum und befragt die leblosen Dinge in den Regalen, ob sie eine Freude sein könnten für diese oder jene Person.

Heute morgen habe ich gemerkt, dass ich wieder so spät dran bin mit den Geschenken, dass ich der Phase mit den Verzweiflungskäufen bedrohlich nahe komme.

Ein kleines Heft mit Geschenkideen habe ich längst, aber ich werde die Listen jetzt nicht abarbeiten. So kann Weihnachten doch nicht sein, oder?

Neale Donald Walsch schreibt: "Leidenschaft ist die Liebe, das Sein in Handlung zu verwandeln." (Neale Donald Walsch: Gespräche mit Gott, Bd.1, S. 159)

So habe ich gestern nicht geguckt, was noch alles auf dem Zettel steht, sondern bin meinen Leidenschaften gefolgt. Und die führten mich in einen Laden, in dem es wunderbare Kugeln und Zapfen aus Bauernsilber gibt, wo es glänzt aus alten Weidenkörben, wo Perlmutt-Knopf-Nadeln in groben Leinenbändern schimmern und es gestrickte dänische Küchenwischlappen, ja Küchenwischlappen, in den schönsten Braun- und Grautönen gibt, so dass mir ein Seufzer nach dem anderen entfuhr.

Aus Erich Fromms "Haben oder Sein" wollte ich zitieren und mich mit euch zusammen abwenden vom vorweihnachtlichen Konsumrauschen. Und dann entdecke ich in meinem SEIN eine Freude an den Farbnuancen von gestrickten Wischlappen.

Das hat auch mit SEIN zu tun, auch wenn es an der Kasse zu einem HABEN wurde.

Das macht aber nichts.

Das zeigt nur, dass wir reich belohnt werden, wenn wir nicht auf Listen schielen und Ergebnissen nachjagen, sondern unseren Leidenschaften folgen und tun, was uns innerlich eingegeben wird.

Denn in dem Laden traf ich nicht nur meine Freundin und konnte mit ihr zusammen in Silberzapfen schwelgen, sondern fand auf einen Schlag vier Geschenke für meine Lieben aus der Liste.

Das Band und eine noch viel größere Kugel habe ich mir geschenkt. Die Wischlappen sind schon verpackt für jemand anderen. Jetzt beginnt im meinem Umfeld das große Zittern, wer zu Weihnachten wohl Wischlappen auspackt.

Immer fröhlich euer SEIN in Handlung verwandeln

Uta


PS: swwwdee4ee5555555555555555555555555555w2.  Schönen Gruß von unserer Katze Amy, zu deren SEIN es gehört, quer über die Tastatur zu laufen.

Montag, 9. Dezember 2013

Glückliche Familie Nr. 187: Sog der alten Elternrolle


Bei Familie Klatzenklo läuft ja ein Experiment mit Freiheit und Vertrauen. Viele Wochen hat es mich jetzt schon entlastet, dass ich Prinzessin (12) nicht mehr im Nacken sitze und sie antreibe, das iPad wegzulegen, Hausaufgaben zu machen, Vokabeln zu lernen "oder wenigstens mal an die frische Luft zu gehen".

Schulische Abstürze gab es nicht. Und doch hatte ich am Samstag eine Krise, eine Freiheits- und Vertrauenskrise.

Ich schreibe mal auf, welche Gedanken so in mir aufstiegen, als ich den Leucht-Stern, den ich vor Orkan "Xaver" in den Keller gerettet hatte, wieder in den Gartenhaus-Giebel hängen wollte. Die Gedanken wurden übrigens nicht besser, als ich den Nagel in der Fuge zwischen den Platten verlor, es anfing zu regnen, das Kabel sich im Lavendel verhedderte und nicht mehr bis zur Steckdose am Haus reichen wollte.

Also die Gedanken:
  • Prinzessin mag zwar jetzt noch in der Schule zurechtkommen, aber irgendwann werden ihr die Grundlagen fehlen und ich bin schuld, weil ich pädagogisch so weichgespült bin.
  • Bei vielen Kindern ist heute alles so passiv: ein You-Tube-Video nach dem anderen sehen, nur konsumieren, statt selber etwas zu machen, eigene Weihnachtsgeschichten zu schreiben, Fröbel-Sterne zu falten ...
Ja, wenn ich auf einer Leiter im abklingenden "Xaver" stehe und mit klammen Fingern an einem Stern herumfummele, können schlimme Werte-Debatten in mir toben. 
  • Kann ich es verantworten, dass Prinzessin schulisch nicht zeigt, was sie eigentlich drauf hat? Vertun wir wichtige Chancen? Liegt es vielleicht einfach daran, dass ich mal wieder zu konfliktscheu bin? 
  • Seit Beginn der neuen Freiheit stieg die Küsschen-für-Mama-Quote zwar exponentiell, aber zeigt das nicht bloß, dass ich mich damit zu dem Kumpel-Typ gemacht habe, den Experten wie Bernhard Bueb und Michael Winterhoff so verabscheuen?

Eine weichgeregnete Kumpel-Mama trat ins Haus, die Brille beschlug, die Leiter-Füße hinterließen ein Dreck-Graffiti an der Wand im Flur. 

Vergangene Woche hatte Prinzessin mich gefragt, ob wir zusammen Mathe üben könnten. Klar, sagte ich, ließ die diebische Freude über die Frage nicht so durchscheinen, blieb ganz cool. Ich spitzte Bleistifte, holte zwei Kilo Schmierpapier, stellte Nüsse auf den Tisch für die Synapsenölung.

Eine Stunde haben wir gerechnet. Und es lief immer besser. Weil die Mathe-Arbeit am nächsten Tag wegen sturmfrei ausfiel, frohlockte ich: Jetzt würden wir jede Menge Zeit haben, weiter zu üben. "Nur eine halbe Stunde jeden Tag und sie könnte es schaffen, eine richtig gute Note zu schreiben.

Uta hatte Lunte gerochen und geriet in den Sog der alten Elternrolle.

"Ich kann dir anbieten, dass wir heute wieder eine halbe Stunde Mathe üben", sagte ich am Freitag.

"Gut, können wir machen", sagte Prinzessin und machte sich einen schönen Freitag.

"Ich kann dir anbieten, dass wir am Wochenende zusammen für die Arbeiten nächste Woche lernen. Du musst einfach nur auf mich zukommen", sagte ich am Samstag.

"Gut, können wir machen", sagte Prinzessin und machte sich einen schönen Samstag.

Voller Frust, dass die neue Freiheit vielleicht doch nicht funktioniert, bin ich dann lieber gegangen, um den Stern aufzuhängen. Siehe oben.


Jetzt leuchtet er wieder.

Erst am Sonntagmorgen kam ich wieder zur Besinnung. In Jesper Juuls Pubertäts-Buch las ich, was der Däne zu den Kämpfen sagt, die so viele Eltern fechten wegen der Schule und der Medien. Er beschreibt, wie wir uns abstrampeln, um unsere Kinder zu unterstützen. Und wie wir, die Eltern und die Kinder, dabei einander verfehlen.

"Man fühlt sich als Eltern nicht wertvoll, ist aber auch nicht wertvoll, und als Kind fühlt man sich auch irgendwie falsch oder alleine." (Jesper Juul: Pubertät. Wenn Erziehen nicht mehr geht, München 2010, S. 178)


Jetzt fühlte ich mich wieder wertvoll und sagte zu Prinzessin
  • dass er wieder in mir angesprungen sei, dieser Ehrgeiz, den ich als Schülerin hatte, immer und überall überdurchschnittlich zu sein
  • dass ich endlich kapiert habe, dass sie anders ist als ich und dass das seelisch auch viel gesünder sei
  • dass ich verstehe, dass sie die Wochenenden wirklich frei haben wolle
  • dass ich als Mutter aber zur Verfügung stehen würde, wenn sie meine Unterstützung möchte

Wir waren beide ganz erleichtert.

Immer fröhlich forschen, was eigene Erwartungen sind und was der andere wirklich braucht

Eure Uta

Samstag, 7. Dezember 2013

Glückliche Familie Nr. 186: Familiärer Führungskräftemangel


Glückliche Familie Nr. 186 findet heute auf Sonjas Blog "Wert-voll" statt. Sonja feiert Blog-Geburtstag und hat mich eingeladen, einen Gastbeitrag zu schreiben.

"Wert-voll" - ist das nicht ein toller Name?

Sonjas Blog war einer der ersten, dem ich folgte, als ich mit dem Bloggen begann. Sie ist ausgebildeter Coach und schreibt darüber, wie sie ihr berufliches Wissen in ihrem Leben mit zwei kleinen Kindern umsetzen kann. Self-Coaching also.

Ich gratuliere ganz herzlich zu vier Jahren "Wert-voll" und wünsche weiterhin viel Freude beim Bloggen.

Hier geht es zum "Familiären Führungskräftemangel".

Immer fröhlich bei Sonja vorbeischauen

Eure Uta

Dienstag, 3. Dezember 2013

Glückliche Familie Nr. 185: Welche Schule für mein Kind?


Als ich beim Nikolaus-Markt in unserem Gymnasium die vielen Eltern sah, die sich die Schule anguckten, weil sie ihr Kind im Januar vielleicht dort anmelden möchten, beschloss ich, etwas über Schul-Wahl zu schreiben.

Wie entscheide ich mich für die richtige Schule für mein Kind?

Jetzt merke ich, dass das eine große Frage ist. Da kann einen in diesen Tagen ganz schön der Nikolaus-Stiefel drücken.

Wegen eines Wechsels haben wir uns schon sechsmal für oder gegen eine Schule entscheiden müssen. Das sollte mir eine gewisse Kompetenz in dieser Frage geben.

Aber ich bemühe erst einmal die Wissenschaft. Die Hettie-Studie* ist ja in aller Munde. Der Neuseeländer John Hettie hat in 15jähriger Fleißarbeit tausende internationale Studien** ausgewertet, die sich unter verschiedenen Aspekten mit der Frage befassen: Was sind die entscheidenden Faktoren für den Lernerfolg?

Das Ergebnis: Der entscheidende Faktor ist der Lehrer. Der Lehrer und nochmals der Lehrer. Seine fachliche Kompetenz, seine Persönlichkeit. Dann kommt lange nichts.

Der Meta-Studie zufolge spielen so gut wie keine Rolle
  • die Klassengröße
  • die Art der Schule, ob privat oder staatlich
  • die finanzielle Ausstattung der Schule
  • ob man jahrgangsübergreifend lernt oder nicht
  • ob es offenen Unterricht (im Gegensatz zur klassischen Frontal-Methode) gibt oder nicht

Hetties Forschungen haben gezeigt, dass die Leistungs-Unterschiede zwischen zwei Parallelklassen ein und derselben Schule größer sein können (bis zu einer Klassenstufe) als zwischen gleichaltrigen Schülern verschiedener Schulen. Der einzelne Lehrer ist also entscheidend, nicht die Schule. 

Und was macht laut Hettie den guten Lehrer aus? 
  • stringente Klassenführung
  • Mischung aus Strenge und Humor
  • Klarheit (dass die Schüler verstehen, was er oder sie von ihnen in der Stunde erwartet)
  • breites Repertoire an Unterrichtsstilen (sowohl frontalen als auch offenen Unterricht beherrschen) 
  • kleine Tests zwischendurch, um prüfen zu können, ob die Methoden bei den Schülern greifen
  • sich und seine Arbeit selber in Frage stellen können; den Unterricht aus der Sicht des Schülers reflektieren können
  • ausbleibende Lernerfolge zunächst sich selber zuschreiben, nicht dem Schüler, dem Elternhaus, dem Medienkonsum ...
  • Schüler systematisch rückmelden lassen, ob sie den Stoff verstehen, sich konzentrieren können ... 
  • Warmherzigkeit; am einzelnen Kind und seiner Weiterentwicklung interessiert sein
  • Begeisterung fürs Fach

Aber wie finden wir als Eltern solche Lehrer für unser Kind?

Wir können uns ja nur die Schule aussuchen. Und selbst wenn wir wissen sollten, dass ein guter Lehrer eine neue erste oder fünfte Klasse übernimmt, wird kein Schulleiter bereit sein, uns zu garantieren, dass unser Kind genau in diese Klasse kommt. 

Jetzt starre ich schon eine ganze Weile auf das Zicklein, das im Moos neben der Adventskerze No. 1 weidet, und weiß nicht, welchen Rat ich euch geben soll.




Immer fröhlich alle Tage der offenen Tür an den Schulen ignorieren und beim Bleigießen an Sylvester eine Entscheidung treffen?

Jenseits von Hettie und seinen Auswertungen fallen mir als Mutter noch mehr Faktoren ein:
  • besonders für Grundschüler ist es gut, wenn die Schule so nah ist, dass sie hinlaufen können (gibt es wenig Verkehr, wenig Straßen, die zu überqueren sind, wunderbare Pfützen, in die man hineinspringen kann, Sträucher mit Knallerbsen, Mauern zum Balancieren ...?)
  • auch Jugendliche sollten (wenn man denn die Wahl hat) nicht stundenlang mit Bus oder Bahnen fahren müssen. In der heute fast überall verdichteten Schulzeit bis zu den Abschlüssen ist die Freizeit so knapp, dass sie nicht auf der Strecke bleiben sollte.
  • Was höre ich über die Atmosphäre im Kollegium? Ist der Krankenstand hoch? Finden gute Lehrer auch gute Bedingungen vor oder werden sie zurechtgestutzt?
  • Hängt in den Fluren Kinder-Kunst oder sieht man Null-acht-fünfzehn-Schablonen-Werke?

Der Hirnforscher Manfred Spitzer sagte mal in einem Vortrag, dass es kein Bauchgefühl gebe. In der Körpermitte sei weder ein emotionales Schaltzentrum noch eine einzige Hirnzelle zu finden. Und doch wissen wir alle, was gemeint ist, wenn wir von "Bauchgefühl" sprechen.

Und auf dieses sollten wir hören, wenn wir eine Schule für unser Kind suchen. Wir sollten uns nicht blenden lassen von Hochglanzflyern, von klangvollen Sprach-Angeboten, hochgerüsteten Computer-Räumen oder Hüpfburgen an Tagen der offenen Türen, sondern mit den Menschen reden, die dort arbeiten, die Atmosphäre schnuppern und auf unser Bauchgefühl achten.

Lasst euch wegen einer Schulentscheidung nicht verrückt machen und trefft fröhlich eine Wahl, die man - wie ich euch das nächste Mal erzählen werde - auch wieder ändern kann

Uta

* Meinen Informationen über die Hettie-Studie liegt der Artikel "Ich bin superwichtig! Kleine Klassen bringen nichts, offener Unterricht auch nicht. Entscheidend ist: Der Lehrer, die Lehrerin ..." von Martin Spiewak auf ZEIT-online zugrunde.

**ausschließlich englischsprachige Studien; nicht alles lässt sich eins zu eins auf das deutsche Schulsystem übertragen

Mittwoch, 27. November 2013

Glückliche Familie Nr. 184: Party der Erleichterung


Vor zwei Wochen war ich zu einer Krebs-Vorsorge-Untersuchung. Das Ergebnis war unklar und verlangte weitere Untersuchungen. Die zweite Untersuchung konnte den Verdacht nicht klären und in mir breitete sich von Tag zu Tag etwas mehr Angst aus. Das dritte Verfahren schließlich brachte Klarheit und noch ein paar Tage später einen erlösenden Anruf. Alles gut! Danke!

Ich stieß einen Schrei aus, der - wie Prinzessin (12) berichtete - Vibrationen bis hoch in ihr Zimmer auslöste.
Ich kaufte Prosecco, Süßigkeiten, Chips, Lieblingslimonaden, das ganze Programm, drehte die Musik laut und alle tanzten, der Soßenkönig, Kronprinz, Prinzessin und am wildesten Königin Mutter. Wir lernten die Polka aus dem Tanzkurs vom Kronprinz ("Hacke-spitze, hacke-spitze - eins, zwei, drei"), wir tanzten "Memphis", schneller, immer schneller, wir lachten, prosteten uns zu, tanzten wieder und sackten erschöpft, verschwitzt und glücklich auf das Sofa.

"So einen schönen Abend hatten wir lange nicht mehr", sagte Prinzessin, als ich sie später ins Bett brachte.

Warum brauchen wir bloß immer einen Warnschuss, um unser Leben auszuschöpfen?


Strand-Tanz mit meinem Neffen und meinen Kindern vor Jahren am Hennestrand in Dänemark.
 Foto von meiner Schwester Nummer 3.

Warum tanzen wir nicht häufiger einfach mal so?

Warum bewundern wir Sonnenuntergänge nur im Urlaub?

Warum haben wir nicht immer einen Witz auf Lager?

Warum fragen wir unsere Kinder "Hast du deine Hausaufgaben fertig?" statt "Hat dich heute schon mal jemand durch gekitzelt?" oder "Habe ich erwähnt, dass ich dich liebe?"

Klar, "immer schön fröhlich sein", wie ich euch penetrant dazu auffordere, das ist nicht möglich. Das Leben braucht das Auf und Ab, um wirklich erfüllt zu sein. Trauer gehört genauso dazu wie überschäumende Freude, Angst genauso wie Leichtigkeit. So einen permanenten Ballermann-Spaß hält keiner aus. Krankheit, Verlust, Tod - das führt uns in die Tiefe, zum Wesentlichen.

Aber dieses diffuse negative Dazwischen, das könnten wir uns doch sparen, oder? Dieser Ärger über das Internet, das nicht funktioniert, über das Wetter, das uns nicht passt, über Parklücken, die sich nicht auftun, schlechte Noten in der Schule, Zahnbeläge ... Oder am schlimmsten diese schmutziggraue Suppe aus diffusen Ängsten und Sorgen über Dinge, die in 90 Prozent aller Fälle sowieso nicht eintreffen.

Apropos Zahnbeläge. Montag war ich mit Prinzessin bei der Zahnärztin. Während der Zahnreinigung saß ich im Wartezimmer, als die Prophylaxe-Helferin mich mit Leichenbitter-Miene in das Behandlungszimmer bat: "Ich möchte, dass Sie sich das mal ansehen."

Wurzelfäule, Zahn verschluckt, Parodontose im letzten Stadium?

Ich trat neben meine Tochter, die auf dem Behandlungsstuhl lag. Das schwenkbare Licht stand dicht über ihrem Gesicht und ihre Schneidezähne strahlten in einem grellen Pink. Das kam von der Farbe, die die Beläge sichtbar machen sollte. Pink, eigentlich überall.
Ich musste herzhaft lachen. So ein Textmarker-Grinsen. Ich liebte meine Tochter und sogar ihre Zahnbeläge noch mehr als sonst und strich ihr über die Stirn.

Die arme Prophylaxe-Helferin, die mich geholt hatte, damit ich meiner Tochter eine Standpauke halte! Sie sah mich an, als wäre ich nicht ganz dicht. Sie wollte ja auch bloß gründlich sein und konnte nicht ahnen, dass sich bei mir gerade eine paar Maßstäbe verschoben hatten.

Wart ihr auch mal so erleichtert? Hat euch das wachgerüttelt? Habt ihr was verändert? Wann habt ihr zuletzt eine Polka getanzt?

Immer fröhlich euer Leben ausschöpfen mit allen Höhen und Tiefen, häufiger mal die Musik aufdrehen und richtig ausgelassen sein

Eure Uta

Donnerstag, 21. November 2013

Glückliche Familie Nr. 183: Der Zucker-Dealer


Kronprinz (16) fragte mich, ob ich ihm blaue Lebensmittelfarbe besorgen könnte. Er hätte ein Video gesehen, in dem mit einem Kilogramm Zucker und Lebensmittelfarbe Kristalle hergestellt würden, die wie die Designer-Droge „Crystal Meth“ aussähen.

„Crystal Meth?“


Ich schluckte.


Ja, man sähe kaum einen Unterschied.


Will er meinen Einmachzucker tütchenweise in der Unterführung am S-Bahnhof verkaufen oder will er sich bei „Jugend forscht“ bewerben?


Mich beunruhigt, dass mein Kronprinz weiß, wie „Crystal Meth“ aussieht.


Mich tröstet, dass er mich in die Drogen-Herstellung einbeziehen will.

Wie immer in Situationen elterlicher Zerrissenheit, die wohl auch dann nicht aufhört, wenn die kleine Kartoffel vom ersten Ultraschallbild uns mit Piemont-Kirschen im Seniorenstift besucht, entscheide ich mich für Vertrauen: Ich suche im Supermarkt nach Lebensmittelfarbe.



Plätzchen-Ausstechen war gestern: Pseudo-Droge auf meinem Backblech.
Die blaue Lebensmittelfarbe verlor sich bei der enormen Zuckermenge.

Nicht nur Zucker, der nach Droge aussieht, sondern Zucker überhaupt gehört zu den Erzfeinden von Eltern. Der andere Erzfeind ist der Bildschirm. Zu viel Zucker, zu viel Bildschirm – an diesen beiden Fronten kämpfen alle Eltern.


Bei uns in der Küche liegen Süßigkeiten in den oberen Schränken. Je größer die Kinder wurden, desto höher wanderte alles, was zum Naschen ist: Schokoriegel und Pralinen oben neben den verstaubten Fleischwolf, bunte Zuckerstreusel hinter die Paniermehldose, Chips und Flips hinter den Karton mit dem Raclette-Gerät.


Unser Küchenprinzip „Immer höher, immer ungesünder“ hat aus den Kindern wahre Kletterkünstler gemacht. Prinzessin (12) bewegt sich auf der Arbeitsfläche wie eine Katze auf dem heißen Blechdach. Sie hangelt sich an den Oberschränken entlang, balanciert auf dem schmalen Grat zwischen Spüle und Abgrund und angelt mit dem Kartoffelstampfer die Lakritzen-Schnecken aus dem höchsten Oberschrank. Wenn sie meine Schritte im Flur hört, springt sie hinunter und hopst zwischen Geschirrspüler und Backofen, als müsste sie für die nächste Hip-Hop-Aufführung üben. Nur Liedpfeifen geht nicht wegen der Lakritz-Schnecken in den Backen.


Mit Süßigkeiten bin ich nicht so streng, weil ich bei Felicitas aus meiner Klasse gesehen habe, was passiert, wenn Eltern Süßigkeiten total verbieten. Felicitas Vater war damals Chefarzt der örtlichen Kinderklinik und sie durfte zu Hause überhaupt nichts naschen. Ihren Ausgleich fand sie am Kiosk neben dem Schulhof. Nie werde ich vergessen, wie sie zitternd da stand und sich mit beiden Händen Schokoküsse in den Mund stopfte. Diese Schaumküsse hatten für Felicitas mindestens ein Suchtpotenzial wie „Crystal Meth“.


Bei uns darf man sogar vor dem Mittagessen etwas aus den Oberschränken holen. Das hängt auch damit zusammen, dass die Kohlrabi noch hart sind oder das Fleisch nicht ganz durch, weil ich mit einem Text fertig werden musste. Wenn ich dann in der Küche wirbele, brauche ich Nervennahrung. Und die will ich den Kindern nach einem anstrengenden Schultag auch nicht verbieten.


Auf einem meiner Backbleche ist die Zuckerpampe inzwischen bretthart geworden. Mit einem Messer hat Kronprinz die ersten Brocken gelöst und in Tütchen abgefüllt. Es sieht verboten aus.

Drei Beutel stopft er sich in die Innentasche seiner Jacke, steigt auf sein Fahrrad und winkt mir zu. Versonnen lecke ich an dem Messer mit den Resten von Pseudo-Crystal-Meth.

In die U-Haft werde ich ihm Lakritzschnecken mitbringen.

Immer fröhlich in Beziehung bleiben

Eure Uta

Sonntag, 17. November 2013

Glückliche Familie 182: Mobbing und wie es weiterging


Ich wollte euch berichten, wie diese Mobbing-Geschichte ausgegangen ist.

Meine Schwester erzählte am Telefon, dass der Schüler tatsächlich eine Woche vom Unterricht ausgeschlossen wurde und außerdem - als soziale Tat - Scheinwerfer schleppen muss für die Theateraufführung einer anderen Klasse.

Ich muss noch korrigieren, dass es sich um einen Schüler der Klasse 9, nicht der Klasse 7 handelt, wie ich fälschlich geschrieben hatte.

Um "den Fall" wirklich beurteilen zu können, müsste man ihn genau kennen. Deshalb möchte ich ihn auch nicht weiter verfolgen. Uns fehlen einfach die Details.

*

Mein Neffe (14), Sohn von Schwester Nummer 3, ist vor ein paar Monaten bei einer Übernachtung in der Schule auch von einem Mitschüler fotografiert worden: schlafend mit einem Pommes im Ohr. 

Der Mitschüler hat das Bild nicht ins Netz gestellt. Meine Schwester hat bei den Eltern angerufen. Der Vater konnte glaubhaft beteuern, dass ihm der Vorfall leid tue und er mit seinem Sohn darüber sprechen werde. 

Für meinen Neffen ist die Sache damit erledigt. Und meine Schwester sagt, dass sie - von den Schwingungen, die sie von ihm empfange - sicher ist, dass es ihm gerade gut gehe in der Klasse, er neue Freundschaften im Lateinkurs vertiefen konnte und begeistert zum Rudern gehe. 

Pommes und Demütigung war gestern, heute wachsen ihm und den Freunden, die auch zum Rudern gehen, breite Schultern. 

Jemand Kluges hat mal gesagt: Es sind nicht die Ereignisse, die uns Kummer bereiten, sondern die Schlussfolgerungen, die wir daraus ziehen. 

*

Als mein Mann die dritte Klasse seiner Dorfschule besuchte, lauerte ihm eine Zeit lang ein Mitschüler auf dem Nachhauseweg auf und verprügelte ihn. 
Mein Schwiegervater nahm sich einen Vormittag frei, suchte seinen Sohn auf dem Schulhof und ging mit ihm zu dem Prügler. "Wenn du diesen Jungen noch einmal anrührst", sagte mein Schwiegervater und zeigte auf seinen Sohn, "wirst du nicht mehr wissen, an welche Stelle am Kopf die Ohren sitzen." 

Es ist nie wieder etwas vorgefallen. Und der Soßenkönig erinnert sich bis heute gerne (ach, bei so was kommen mir immer die Tränen), wie sein Vater beherzt für ihn eingeschritten ist. 

*

Als ich sechs Jahre alt war, hatte ich eine schlimme Lungenentzündung. Ich kam schließlich ins Krankenhaus, weil die Antibiotika nicht halfen. Als der Chefarzt kam und mir und meiner Mutter sagte, ich müsse operiert werden, habe ich geweint. Worauf der Chefarzt mich anfuhr, dass es auf der Welt Kinder gebe, die viel schlimmere Krankheiten hätten als ich. 
Meine Mutter hat viel Respekt vor Würdenträgern aller Art, aber da explodierte sie. Ich weiß nicht mehr, was sie alles sagte. Aber die Druckwelle, die durch das Zimmer ging, habe ich in warmer Erinnerung. 

*

Das waren kleine Geschichten von vorsichtigem und von beherztem Einschreiten, aber auch davon, es dann auf sich beruhen zu lassen. 

Ich glaube, wir brauchen
  • Eltern und Lehrer mit Führungskompetenz, Menschen, die schnell und beherzt eingreifen können
  • Eltern, die ein Gespür dafür haben, wie es ihrem Kind geht
  • Eltern, die Kinder nicht bestätigen in einer Opferhaltung, sondern beim Rudern, Karate, Kickboxen .... anmelden

Stark werden bei Abenteuern oder beim Sport.


Weg mit dem Moralisieren, Dramatisieren, Psychologisieren und lange Konferieren und den Mut haben, fröhlich einzuschreiten

Uta

PS: Erinnert ihr euch an Situationen, wo sich jemand in einem Konflikt beherzt für euch eingesetzt hat?
Oder vielleicht auch an den anderen Fall: Ihr musstet es alleine regeln und habt dabei viel gelernt? 

Dienstag, 12. November 2013

Glückliche Familie Nr. 181: Königin der Körperzellen


Gestern las ich ein älteres "Brigitte"-Dossier. Dort ging es darum, welches Verhältnis wir zu unserem Körper haben. Dass wir kontrollwütig mit einem Gerät joggen, das die Anzahl der verbrauchten Kalorien zählt. Dass es sogar Leute gibt, die mit einem kleinen Monitor am Körper überwachen, wie viele Tiefschlafphasen sie nachts hatten. Vom permanenten Auf-der-Waage-Stehen ganz zu Schweigen.

Kontrolle ist das eine, Wut und Hass auf den eigenen Körper das andere Phänomen.
Die Autorin erzählte von einer Yoga-Stunde, in der der Yoga-Lehrer die Gruppe bat, sich am Ende auf der Matte auszustrecken, die Augen zu schließen und sich vorzustellen, man trete als Herrscher seiner Körperzellen auf einen Verkündigungsbalkon und richte eine Ansprache an sein Volk.

Bei dieser Vorstellung bekam die Journalistin Herzrasen. Denn sie stellte mit großem Schrecken fest, dass ihre Rede aus Hass-Tiraden bestand. Sie beschimpfte ihre Untertanen, dass sie versagen würden beim Abbau der Fettpolster, Straffen der Haut, Abwehr der Grippe-Attacken und vielem anderen mehr.

Es war eine lange Liste. Bei mir wäre es Haarausfall, krumme Beine, Augenringe und Halskratzen. Und richtig ausfällig wurde ich neulich, als ich beim Ausknipsen der Nachttischlampe erstes Winkfleisch am Oberarm erblickte.



Ja, ja, dass man sich selber lieben soll, ist bekannt. Aber dieses Bild von den Abermillionen Körperzellen, die unter dem Verkündigungsbalkon stehen und auf meinen Zuspruch und meine Fürsorge warten, ging mir richtig unter die Haut, ... die Straffe, die Wunderbare, die mit Sommersprossen gesprenkelte, die an manchen Stellen charaktervoll Erschlaffende.

Eine Königin der Herzen will ich sein für meine Körperzellen und begann sogleich, tiefer zu atmen. Jeder Zug eine Audienz für meine Lungenbläschen, jedes Gliederrecken eine Aufwartung bei den Gelenken. Dankbar gedachte ich all der Angriffe, die dieser Körper schon abgewehrt hatte, der Kinder, die er geboren, den Sportarten, die er absolviert hatte.

Den Rest des Tages war ich tiefenentspannt. Beim Großeinkauf legte ich auch eine Flasche Wasser in den Einkaufswagen und trank sie noch im Auto aus, weil ich so durstig war (ohne Dossier hätte ich das auf Zuhause verschoben). Daheim ließ ich Einkäufe und Küchen-Chaos links liegen, weil Prinzessin (12) Hilfe brauchte bei ihrem Vortrag über das Atemsystem der Weinbergschnecke.
 "Wir sind das Volk", riefen die Körperzellen, "gönn' uns eine Pause und mach' dir einen Tee." Das war ein Volksentscheid. Dem musste ich folgen. Ich ignorierte das Küchen-Chaos und las einen schönen Text. Wohlig müde lag ich später im Bett, reckte meinen Arm zur Nachttischlampe und zwinkerte dem Winkfleisch zu.

Immer fröhlich Freundschaft schließen mit dem eigenen Körper

Uta

Donnerstag, 7. November 2013

Glückliche Familie Nr. 180: Unser Kinderarzt


Heute bringe ich eine Karte zu unserem Kinderarzt. Eine Dankes-Karte.

Kronprinz (16) und Prinzessin (12) sind seiner Praxis entwachsen, dem Wartezimmer mit dem Holzpferd in der Mitte und den anthroposophisch-bunten Bilderbüchern im Regal, dem Aquarium mit dem  Schiffswrack und der Dose mit dem Delfin, der immer schnattert, wenn man sich einen Traubenzucker nimmt.

Einfach wegbleiben ohne ein Wort, das möchte ich nicht.
Denn dem Mann mit der Halbglatze und dem jungenhaften Grinsen verdanke ich viel.




Kaum verließ man das Wartezimmer mit dem bronchitischen Bellen auf mehreren Schößen, kaum schloss sich hinter einem die Tür zum Sprechzimmer, wurde alles gut.

Doktor B. nahm sich Zeit, machte Mut und strahlte meine röchelnden Kinder an, als wären sie die zauberhaftesten Wesen, die seinem Stethoskop je untergekommen waren. Er impfte, nähte Platzwunden, jagte Kopfläuse und besänftigte eines der irrationalsten Geschöpfe, die es auf dem Planeten gibt: die besorgte Mutter.

Meine Spezies also.

War ich erschöpft von durchwachten Nächten und vom Betupfen der Windpocken, reichten zehn Minuten bei Doktor B., um zu wissen, dass ich alles richtig gemacht hatte. Doktor B. und seine Herman-Van-Veen-Stimme waren unser wichtigstes Placebo.

Einmal beichtete ich, dass ich Kronprinz Waffeln gebacken hätte, weil er "Magen-Darm" hatte und nichts anderes essen wollte. Da strich Doktor B. mir über die Schulter und berichtete, er sei gerade von einem Kongress mit der Erkenntnis zurückgekehrt, dass der Körper in Notsituationen zielsicher Signale aussenden würde, welche Nahrung er in diesem Moment bräuchte. Ich hätte - wissenschaftlich betrachtet - also genau das Richtige getan.

So ist Doktor B.

Ich bin mir sicher, er hatte mir zuliebe die Kongress-Ergebnisse stark verkürzt. Aber jedes Mal zog ich mit neuer Kraft an dem schnatternden Delfin vorbei wieder nach Hause.

Gibt es jemanden, dem ihr sehr dankbar seid? Kinderarzt, Hebamme, Säuglingsschwester?

Ich bringe jetzt mal die Karte zum Briefkasten.

Immer fröhlich "Danke" sagen, wenn es irgendwo so eine Seele gibt

Uta

Freitag, 1. November 2013

Glückliche Familie Nr. 179: Mobbing beenden


Ein Telefonat, das ich gestern mit meiner ältesten Schwester führte, geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Meine Schwester ist Lehrerin an einem Gymnasium, sehr engagiert, kreativ, voller Ideen und auch Manns genug, eine Meute von 30 Kindern souverän durch ein Schuljahr zu führen.

Zu dieser Stunde sitzt sie in einer Konferenz mit dem Schulleiter und mehreren Kollegen, die einberufen wurde, weil ein Schüler einer siebten Klasse ein brisantes Foto ins Internet gestellt hat. Er hat es aufgenommen von einem Mitschüler, als dieser sich gerade im Klassenzimmer übergeben musste. Mittels digitaler Bildbearbeitung fügte der Schüler dem Foto eine braune Sprechblase mit dem Wort "Kacki" hinzu.

Der "Täter" und seine Eltern sind auch zu der Konferenz bestellt. Und meine Schwester berichtete, dass der Schulleiter erwägt, den Jungen eine Woche vom Unterricht auszuschließen. Dem anderen Jungen ginge es schlecht. Dessen Eltern hätten es schwer, ihn zu bewegen, überhaupt noch zur Schule zu gehen.

Meine Schwester klang erschöpft und ratlos. Auch der Schulleiter und die Kollegen wüssten nicht so recht, was zu tun sei.

Ich übrigens auch nicht. "Bin ich der master oder was?" würde Prinzessin (12) in einer solchen Situation sagen.

Und ich habe größten Respekt vor Menschen, die 30 Zwölf- bis Vierzehnjährige so durch eine Schulstunde führen können, dass sie selber keinen Tinnitus, "Burn out" oder "Rad ab" erleiden und die Kinder auch noch was lernen.

Heisst: Ich habe größten Respekt vor Lehrern, auch wenn nicht jeder, der meinen Kindern bisher begegnet ist, "my very best friend" ist, um wieder mit Prinzessin zu sprechen.

Da ich nicht zerschlissen bin vom Schulbetrieb, befinde ich mich in der glücklichen Lage, in aller Muße (heute morgen während der professionellen Zahnreinigung beim Zahnarzt) nachdenken zu können.

auch nachdenklich ... Amy

Was kann eine Schule in solch einem Mobbing-Fall tun?

"Master" hat blitzblanke Zähne und einen Vorschlag:

  • der Klassenlehrer fährt am gleichen Tag mit dem Übeltäter zum "Opfer" nach Hause 
  • dort entschuldigt sich der Schüler in aller Form und in Anwesenheit der Eltern des "Opfers" 
  • und er fragt, in welcher Weise er das Geschehen wieder gutmachen könne
  • Wiedergutmachung vereinbaren
  • danach keine Konferenzen, kein Unterrichtsausschluss oder dergleichen
  • sollte Ähnliches noch einmal vorfallen, wieder sofort so handeln


Die Tat gehört in den Mittelpunkt, nicht der "Täter". 

Es ist ein wichtiger Unterschied, ob wir sagen "Wir dulden so etwas nicht an unserer Schule" oder "wir dulden dich nicht an unserer Schule".

Wir sollten Kinder nicht aufteilen in "Opfer" und "Täter", sie nicht festlegen auf Rollen, die beide zweifelhafte Aufmerksamkeit mit sich bringen.

Es braucht klare Regeln und schnelles Handeln, keine langen Konferenzen, kein Diskutieren, Dramatisieren, Moralisieren.

Die Konsequenz sollte sozialer Stress sein, nämlich der, dem gedemütigten Jungen und seinen Eltern in ihrem vertrauten Umfeld gegenüber stehen zu müssen. (Das bringt auf jeden Fall keine "Out-law"-Anerkennung bei den Kumpels in der Schule wie andere Maßnahmen).

Und solch ein privater Wiedergutmachungs-Besuch zeigt bestimmt mehr Wirkung als eine Woche vom Unterricht ausgeschlossen zu werden und in Ruhe "Playstation" spielen zu können.

So, und jetzt seid ihr dran. Ich brauche einen Praxis-Check. Was meinst du, Schwesterherz? Könnte das ein brauchbares Verfahren sein? Was denken die anderen Lehrer unter euch? Habt ihr noch andere Ideen, die hier weiterhelfen könnten?

Wie schlimm alles ist, möchte ich nicht lesen. Aber für Ideen bin ich immer zu haben.

Immer die Tat sofort mit Sanktionen belegen und dann (hoffentlich) wieder fröhlich Unterricht machen, 

eure Uta 

Dienstag, 29. Oktober 2013

Glückliche Familie Nr. 178: Von der "Überverantwortlichkeit"


Was für ein Morgen! Prinzessin (12) und Soßenkönig kollidieren im Badezimmer, weil die eine zur Schule, der andere früh zum Flughafen muss. Das Taxi, das ich für den Flughafen-Transfer bestellt habe, kommt und kommt nicht. Der Kater übergibt sich ins Wohnzimmer. Der Kronprinz hat sieben Minuten vor Schulbeginn noch nicht sein Zimmer verlassen. Soßenkönig sucht eine Wintermütze, die noch in den Koffer soll. Ohne Frühstück springt der Kronprinz auf sein kaputtes Fahrrad und saust die Einfahrt hinunter, wo endlich das Taxi hält. Der Fahrer entschuldigt sich. Seine Mutter fliege heute nach Indien zurück und sie fände ihren Reisepass nicht wieder. Ein Kuss. Die Autotüren knallen. Ich winke. Vor dem Haus treiben Blätter und abgebrochene Äste. Nach diesem hektischen Morgen fühle ich mich zerzaust wie der Garten nach dem Sturm gestern.

Wie froh bin ich, dass ich zu Hause arbeiten und mir erst einmal einen Tee kochen kann. Ich genieße jeden Schluck, als könnte ich Ruhe trinken, schiebe die Zeitung beiseite und lese Juul:

"Wenn man in den ersten fünf, zehn oder dreizehn Lebensjahren seine eigene Persönlichkeit zugunsten der Wünsche und Bedürfnisse seiner Eltern unterdrückt hat, dann wird die Überverantwortlichkeit ein Teil der eigenen Identität, weil man keine andere Möglichkeit kennengelernt hat, für andere Menschen wertvoll zu sein." (Jesper Juul: Dein kompetentes Kind, Reinbek bei Hamburg 2009, Seite 194, 195) 

Juul meint mit "Überverantwortlichkeit" den Drang, es allen Recht zu machen, sich schuldig sich fühlen, wenn etwas mal nicht funktioniert, ständig ein "sorry" auf der Zunge rumliegen zu haben, im Dauerstress zu sein, weil überall Möglichkeiten lauern, etwas falsch zu machen.

Dafür können wir unseren Eltern keine Schuld geben. Kriegskinder oder -kindeskinder waren es. Erst Überlebenskampf, dann Wiederaufbau. "Persönlichkeit des Kindes", "gesundes Selbstgefühl", "Integrität wahren"? Keine Begriffe, die damals en vogue waren.

Zum Tee ein paar Lampions aus dem Garten.


Erst in den siebziger Jahren setzte eine breite Psychologisierung* unserer Gesellschaft ein und die Menschen begannen, nicht mehr nur Erlittenes im Kessel von Stalingrad als Trauma zu behandeln, sondern auch Erlebnisse in einer durchschnittlichen Kindheit.

Das mit dem Psychologisieren ist mir meistens zu viel. Nicht hinter jeder Ecke lauert ein Trauma.

Aber ich möchte, dass Kinder nicht mehr diese "Überverantwortlichkeit" entwickeln und mit jedem Jahr, das sie älter werden, glauben, mit ihnen sei irgendetwas falsch.

Ich möchte, dass Eltern an sich arbeiten, wenn es zu Hause nicht läuft, statt die Kinder in die Therapie zu schicken.

Ich lasse ab von meiner eigenen "Überverantwortlichkeit" und packe sie fröhlich mit all dem Laub und den abgebrochenen Ästen in die Tonne

Uta


* nach Ursula Nuber: Der Mythos vom frühen Trauma. Über Macht und Einfluss der Kindheit. Frankfurt am Main 1999, Seite 24

Mittwoch, 23. Oktober 2013

Glückliche Familie Nr. 177: Die Hausaufgaben-Falle


Gestern Abend war ich bei einem Vortrag über Hausaufgaben in unserer Schule. Die Aula war fast voll.

Hausaufgaben sind ein Hass-Thema für Eltern.

80 Prozent aller Eltern in Deutschland helfen bei den Hausaufgaben, sagt die Lern-Trainerin, die den Vortrag hielt.

80 Prozent von all dem Stress, den es in Familien gibt, hat mit Hausaufgaben zu tun, sagt Uta.

Hausaufgaben kommen in der Streit- und Stress-Statistik wahrscheinlich noch vor Aufräumen, Zähneputzen und Katzenklo saubermachen.

Die Lern-Trainerin machte deutlich, dass Eltern schnell in eine Hausaufgaben-Falle gerieten. Irgendwann fangen sie an zu helfen, helfen dann immer mehr (Papa hat sich ja auch so gut in das Thema eingearbeitet, Mama hatte schließlich auch mal Latein) und sitzen plötzlich in der Falle.

Trotz all der Hilfe wird es in der Schule auch nicht besser oder höchstens ein bisschen. Also hilft man noch mehr und streitet noch mehr ... eine Falle, wie gesagt.

Zuviel Hilfe ist also schädlich, aber sein Kind gar nicht zu unterstützen, kommt auch nicht in Frage.

Deshalb hier ein paar Ideen für einen gesunden Mittelweg:
  • dem Kind Hilfe anbieten, aber ihm nicht kontrollierend im Nacken sitzen
  • bei älteren Kindern Sprechzeiten vereinbaren: z.B. "wenn du Fragen hast, nehme ich mir von 18 bis 19 Uhr Zeit, sie mit dir durchzugehen"
  • die eigene Haltung überprüfen: Erlebt mich mein Kind als Mensch gewordenes Misstrauensvotum?
  • bei Grundschulkindern nach Mittagessen und Erholungspause (Toben, Trampolin, Fußball ...) Schulaufgabenzeit mit Ritual eröffnen (immer wenn der Wecker geklingelt hat, geht es los mit Hausaufgaben; immer wenn Mama mir einen Kakao kocht, hole ich meine Schulsachen heraus; immer wenn ...)
  • Anfangs- und Endpunkt der Schularbeiten festlegen und besprechen, was das Kind danach Schönes tun könnte
  • wenn das Kind sich schwer tut, mit der Arbeit zu beginnen, zusammen schätzen, wie viel Zeit es wohl benötigen wird und auf einem Timer einstellen; die meisten Kinder lieben diese Art von Wettbewerb, zumal sie meistens weniger Zeit brauchen werden als gedacht: "Mensch, nur 20 Minuten, dann mache ich das schnell."
  • nie auf dem Arbeitsplatz des Kindes sitzen, sondern neben ihm
  • nie in die Hefte des Kindes hineinschreiben oder etwas radieren; Hefte, Bücher und Ranzen sind Autonomie-Gebiet des Kindes
  • bei der Hausaufgabenhilfe nur reden, was die Aufgabe gerade verlangt. Die meisten Eltern reden viel zu viel und stören die Konzentration des Kindes: "Warum hast du nur stumpfe Bleistifte? Kannst du dich nicht mal gerade hinsetzen? Weißt du schon, wann ihr die nächste Arbeit schreibt? Bei dieser Unordnung hier könnte ich ja gar nicht lernen ..." Nicht machen! 


Schulaufgaben-Stilleben

Bei Prinzessin (12) läuft es gerade gut mit den Hausaufgaben. Das verdanken wir der neuen Freiheit. Es hat zwar ein paar Wochen gedauert, aber jetzt schafft sie es immer häufiger, sich ihre Arbeit selbst einzuteilen.
In den Noten schlägt sich das noch nicht nieder, aber als Person wirkt sie stärker als vorher.

Und ehrlich, das ist mir viel wichtiger als alles andere.

Immer fröhlich den Mittelweg bei der Hausaufgabenhilfe suchen

eure Uta.


PS: Da ich Gelassenheit und Humor in der Liste oben vergessen habe, kommt jetzt noch ein Witz hinterher, den ich in der Zeitung gelesen habe.
Zwei Zahnstocher laufen eine Straße entlang, als sie plötzlich ein Igel überholt. Sagt der eine Zahnstocher zum anderen: "Ich wusste gar nicht, dass hier ein Bus fährt."

Sonntag, 20. Oktober 2013

Glückliche Familie Nr. 176: Die Trotz-Mama


Als die Kinder klein waren, besuchten wir für mehrere Tage die Schwiegereltern in Süddeutschland. Ich erinnere mich, dass wir einen Ausflug machen wollten und der kleine Kronprinz (ca. 4) sich selber angezogen hatte. Bunt wie ein Papagei stiefelte er die Treppe hinunter. Die Jacke schief geknöpft, die Strümpfe ungleich. Dazwischen die geringelte Schlabberhose, die zu seinem Schlafanzug gehörte.

Schwiegermutter sagte, er solle sich was Richtiges anziehen.
Mama bestand darauf, dass der Junge so mit zum Ausflug dürfe.

Mit einigen Jahren Abstand betrachtet, ging es weniger um Kronprinz als um mich.
Darum, im Recht zu sein und zu opponieren gegen weit verbreitete Ansichten der Elterngeneration.

Wenn wir bei den Schwiegereltern oder bei meinen Eltern waren, habe ich Sätze gedacht wie:

"Ihr Nachkriegs-Eltern respektiert nicht die Individualität des Kindes."

"Ihr, in eurer Generation, habt uns als Kinder nicht immer gesehen in unserer Einzigartigkeit."

"Das wird uns mit unseren Kindern nicht passieren."

"Bei uns werden Wurzeln erkuschelt und in aller Freiheit bunte Flügel entfaltet."

"Wir sind nicht fixiert auf Oberflächliches wie Aussehen und Ordnung. Bei uns zählen die inneren Werte."

"Und anders als ihr, die ihr ständig grübelt, was die Nachbarn oder die Verwandten von euch halten, pfeifen wir darauf, ob wir mit unseren Kindern einen guten Eindruck machen oder nicht."

(Ich hatte gut reden. Was die Leute in meiner Heimatstadt oder in einem schwäbischen Dorf von mir hielten, war mir egal. In Hamburg wäre ich auch nicht so gaaaaanz frei davon gewesen.)

Die Situation mit Kronprinz und seinem modischen Freestyle kam mir in den Sinn, als ich bei Rogge und Bartram Folgendes las:

"...mancher Vater, manche Mutter haben sich ... im Laufe ihrer Biografie geschworen, die Fehler, denen sie in der Kindheit und Jugend ausgesetzt waren, nicht zu wiederholen und jene Defizite, die sie einst erlebt haben, am Kind wiedergutzumachen. Wer die elterlichen Erziehungsstile pauschal ablehnt, der begibt sich jedoch in eine Sackgasse."

Ja, aus Prinzip immer das Gegenteil zu machen, funktioniert nicht. Meine Trotz-Mama-Phasen haben mich viel Energie gekostet.

Es genauso zu machen, wie die Generation davor, funktioniert auch nicht. Das ist die andere Sackgasse.

Was eher weiter hilft, ist, die eigene Biografie differenziert zu betrachten, sich zusammen mit dem Vater der Kinder hinzusetzen und zu gucken:

  • Was hat ihm, was hat mir früher nicht gefallen? Und welche Erziehungsstile möchten wir bei unseren Kindern vermeiden?
  • Was hat ihm, was hat mir früher Halt gegeben? Und was möchten wir unseren Kindern weitergeben?


"Wer ein Kind hat, der hat es immer mit zwei Kindern zu tun:
 dem Kind, das vor einem steht,
und jenem Kind, das man selbst war ..." (Rogge, Bartram).
Hier das Kind, das ich war.




Mögt ihr mir schreiben, was ihr euren Kindern von euren Eltern weitergeben möchtet?
Bei mir sind es so Dinge wie Zusammenhalt, Geborgenheit, schöne Feste, Begeisterung für Natur und Kunst ...

Immer differenziert und fröhlich die eigene Biografie betrachten

Uta

Donnerstag, 17. Oktober 2013

Glückliche Familie Nr. 175: Pommes und Atheisten


Mittwoch und Freitag sind inzwischen die einzigen Tage, an denen die Kinder nur bis zum Mittag Schule haben und zum Essen nach Hause kommen. An diesen Tagen nehmen wir uns Zeit für ein gutes Essen ganz in Ruhe mit Nachtisch und Nachklönen.

Gestern gab es Zitronenschnitzel mit Pommes und Salat, zum Nachtisch gekaufte Mousse au chocolat mit Kiwi-Scheibchen auf einem Teller garniert und zum Nachklönen ein Gespräch über Religionen.

Wie wir darauf kamen, weiß ich nicht mehr, aber wir sprachen über den Unterschied zwischen Moslems und Islamisten, über "christliche" Kreuzzüge, Ablasshandel, Martin Luther und Buddhisten, die zeitgeschichtlich betrachtet wohl am wenigsten auf dem Kerbholz haben.

Wir waren uns einig, dass dieses Recht-haben-wollen über Gott schon viel Leid verursacht hat. Und Kronprinz (16) meinte, er könne nachvollziehen, dass manche Menschen nichts mit Religion zu tun haben wollten oder sogar Atheisten würden.

"Was sind noch mal Atheisten?", fragte Prinzessin (12).

"Das sind Leute, die nicht an Gott glauben."

"Ach", meinte Prinzessin und tunkte Pommes in die Soße, "dann werde ich nach der Konfirmation auch Atheist."

Also darf ich doch nicht nachlassen, abends mit ihr das Gebet zu sprechen, das wir seit Jahren beten und dessen Quelle ich leider nicht herausfinden konnte:



Der Tag ist nun zu Ende,
ich falte meine Hände,
ich freue mich auf morgen,
bei Gott bin ich geborgen.



Betet ihr auch? Und wenn ja, was?

Immer fröhlich Gottvertrauen weitergeben

Uta

Sonntag, 13. Oktober 2013

Glückliche Familie Nr. 174: Fahrt mit Leichen


Auf der Rückreise von den schwäbischen Schwiegereltern haben wir im Auto einen Krimi von Henning Mankell gehört. Hörbuch, sieben Stunden, 55 Minuten. Wie in Trance fuhren wir über die Kasseler Berge, so hereingezogen in die Geschichte, dass es niemanden von uns überrascht hätte, wenn im Gebüsch auf dem Waldrastplatz jemand einen Schalldämpfer aufgesteckt und auf uns geschossen hätte oder wir im Graben eine Leiche im Plastiksack unter den Blättern gefunden hätten.

Zum Glück passierte nichts dergleichen. Aber während der kurzen Rast stand ich mürrisch wie Kriminaltechniker Nieberg neben dem Auto und konnte es kaum erwarten, mit Kurt Wallander und Ann-Britt Höglund zusammen die Ermittlungen wieder aufzunehmen. Fast hätte ich "Ystad, Mariagatan", die Heimatadresse des schwedischen Kommissars, ins Navi eingegeben. Aber obwohl mir die schlaflosen Nächte mit der Pistole unter dem Kopfkissen noch in den Knochen hingen und meine Sinne trübten, riss ich mich zusammen. Der oder die Täter mussten gefunden werden, bevor wir unsere Doppelhaushälfte erreichten.

Ich gestehe, mir war klar, dass dieser Krimi zu düster und zu brutal für Prinzessin (12) ist. Ich gestehe, nachlässig geworden zu sein nach all dem, was sie - wie ich hörte - schon bei Freundinnen an Filmen gesehen hat. Ich gestehe, dass ich diesen Krimi dringend zu Ende hören wollte und ich es nicht geschafft hatte, etwas Harmloseres aus der Bücherhalle zu besorgen.

Hin und wieder drehte ich mich zur Rückbank um und fragte: "Geht es? Ist es nicht zu heftig?"

Was hatte ich erwartet? Dass eine Warnanzeige auf ihrer Stirn blinkte? Dass sie eine Kassette "Ferien auf Saltkrokan" aus dem Rucksack zieht und sagt "Lass uns lieber das hören, Mama"? Dass Kronprinz (16) ein Lied aus der "Mundorgel" anstimmt?

Also fuhren wir weiter mit Wallander, mit der nächsten Leiche, mit seiner Angst und Einsamkeit, mit seiner Tabletten gegen Bluthochdruck und Diabetes und seiner ständigen Frage: "In was für einer Zeit leben wir eigentlich?"

Hinter Hannover hatte der Regen aufgehört. Mit mehr Toten war nicht zu rechnen. Der nächste auf der Liste war Wallander selbst. Opfer Nummer 9. Und der überlebte, das war ja klar. Im Auto aßen wir die letzten Apfelschnitz vom Oma. Wallander machte sich eine Tütensuppe. Was anderes hatte er nicht im Haus.

Es war kurz vor dem Elbtunnel, als der psychopathische Aushilfsbriefträger den Kommissar in seiner Wohnung auflauerte. Angeschossen konnte Wallander fliehen. Später überwältigte er den Serienmörder im Wald, übergab ihm im Präsidium den Kollegen und legte sich - zerschunden, verletzt und allein - unter seinem Schreibtisch schlafen.
Wir schleppten die Taschen ins Haus, kraulten die Katzen und gingen auch schlafen.

Ein paar Ferientage verstrichen. Prinzessin zeigte keine Traumatisierungs-Symptome. Aber mir hing diese Düsterkeit aus dem Krimi nach. "In was für einer Zeit leben wir eigentlich?"

Alice Munro gewann den Literaturnobelpreis. Ich kaufte ihren Erzählband "Tricks", weil ich gelesen hatte, dass sie über Zwischenmenschliches schreibt, und hoffte, dass es mich wärmt. Kunstvoll sind diese Erzählungen, keine Frage. Aber wieder wärmer wurde mir erst, als ich morgens in dem Buch "Dienstags bei Morrie. Die Lehre eines Lebens" las. Darin beschreibt Mitch Albom, wie er seinen alten Professor besucht, der schwer erkrankt ist und bald sterben wird. Seine Besuche bei Morrie werden zu Vorlesungen über das Leben.

"Die Kultur, in der wir leben, ist nicht dafür geeignet, dass die Menschen sich mit sich selbst wohl fühlen." Das hatte Morrie mal gesagt. Und er hatte "seine eigene Kultur geschaffen - lange bevor er krank wurde. Diskussionsgruppen, Spaziergänge mit Freunden, Tanzen nach seiner Musik in der Harvard Square Church. Er rief ein Projekt namens Greenhouse ins Leben, wo Arme sich psychologisch betreuen lassen konnten. Er las Bücher, um neue Ideen für seine Kurse zu bekommen, besuchte Kollegen und wurde von ihnen besucht, hielt Kontakt mit alten Studenten, schriebe Briefe an entfernte Freunde. Er nahm sich mehr Zeit, um zu essen und sich die Natur anzuschauen, ... Er hatte sich einen Kokon menschlicher Aktivitäten geschaffen - Gespräche, Interaktion, Zuneigung - , und sie füllten sein Leben wie eine überfließende Suppenschüssel." (S. 56) 

Spaziergang mit Sohn - Soßenkönig und Kronprinz auf einem Feld im Dorf der Schwiegereltern

Für die nächste Reise werde ich schauen, ob es "Dienstags bei Morrie" als Hörbuch gibt und ob ich meine Lieben davon überzeugen kann, es zu hören. Denn es spielt ja doch eine Rolle, was wir uns so in den Kopf tun.

Immer fröhlich sich seine eigene Kultur schaffen

Eure Uta

Dienstag, 8. Oktober 2013

Glückliche Familie Nr. 173: Machos im weiblichen Biotop Schule


Wir sind wieder zu Hause, aber ich konnte nicht bloggen, weil unsere Fritzbox kollabiert ist. Kaum habe ich die Kiste gelobt, bricht sie zusammen. War vielleicht doch zuviel mit dem ganzen Jugendschutz.
Ich habe dafür Verständnis. Die meiste Zeit fühle ich mich auch überfordert vom Jugendschutz.

Dass ich nicht ins Internet konnte, war trotzdem blöd, weil ich euch dringend von einem Text schreiben wollte, den meine süddeutsche Schwägerin für mich kopiert hatte.

Wenn mich ein Artikel oder ein Buch begeistert, dann möchte ich am liebsten mit tausend Exemplaren über das Land fliegen und Kopien aus dem Hubschrauber abwerfen.

Dieser Text ist so einer.

Er stammt von dem Schweizer Allan Guggenbühl und heißt: "Die Schule - ein weibliches Biotop? Psychologische Hintergründe der Schulprobleme von Jungen". (erschienen in: Handbuch Jungen-Pädagogik von Michael Metzner und Wolfang Tischner, 2008, S. 150 - 167)

Guggenbühl schreibt, dass die Schulen es gut gemeint hätten, als sie in den 80er und 90er Jahren die Geschlechterrollen abschaffen wollten. Ein Mädchen sollte nicht darauf festgelegt werden, ein Mädchen zu sein, ein Junge nicht darauf, ein Junge zu sein. Mädchen sollten für Naturwissenschaften begeistert werden, Jungen für Handarbeiten und den Frieden.

Was gut gemeint war, so Guggenbühl, war letztlich eine Ideologisierung und ginge an der Realität von Kindern vorbei. Zwischen den Geschlechtern gebe es Unterschiede, die wir nicht leugnen könnten. Und wenn wir sie leugneten, würden wir den Schülern nicht gerecht. Vor allen den Jungen nicht, die inzwischen viel häufiger die Schule abbrechen oder zur Therapie geschickten werden als die Mädchen.

"Die überwiegende Mehrzahl der Kinder will sich als Junge oder Mädchen ins Leben einbringen, will die geschlechtliche Identität ausbauen und entwickeln. ... Auch wenn die Erwachsenen sich strikt geschlechtsneutral verhalten, entwickeln sich die Geschlechtsunterschiede. ... Wenn die Schule Geschlechtsunterschiede negiert, dann werden aus den Schülerinnen Tussis und aus den Schülern Machos!" (S. 153) 

In dem Artikel wird mit Methoden aufgeräumt, die ich bis letzte Woche für toll hielt.

Individualisierter Unterricht zum Beispiel.

Guggenbühl macht klar, dass es für einen Jungen Stress bedeutet, wenn sich eine wohlmeinende Lehrerin an seinen Tisch setzt, ihm tief in die Augen blickt und nach seinen Interessen fragt.
"Wieso setzt sie sich wieder an meinen Tisch, spricht mit leiser Stimme und betroffenem Gesicht?" 
Über Worte Nähe zu erzeugen, ist ein sehr weibliches Verhalten. Jungen irritiert das eher. Sie stellen Nähe mehr über Taten her. Wenn sie jemanden zeigen wollten, dass sie sie mögen, würden Jungen ihr neustes Handy vorführen, eine Schachtel voller Würmer zeigen oder erklären, wie man den Stuhl verstellt, so Guggenbühl.


Das Tun ist für Jungen noch wichtiger als für Mädchen - Kronprinz vor Jahren an der Nordsee

Auch bei uns an der Schule gibt es seit einiger Zeit sogenannte "Lernzielgespräche".
Meistens sieht das so aus: Lehrerin, Uta und Sohn sitzen zu einem vereinbarten Termin im leeren Klassenzimmer. Lehrerin und Uta sind begeistert über so viel Gelegenheit zum Quatschen, Sohn sitzt muffig daneben.

Danach auf dem Weg zum Auto.

Uta: "War doch toll, wie Frau Wagner auf uns eingegangen ist und wie differenziert sie dich sieht, oder?"

Kronprinz (15): "Mmmmpf".

Uta: "Eigentlich ist sie ja doch ganz nett, die Frau Wagner."

Kronprinz: "Mmmmpf".

Uta: "Du musst dich einfach nur ein bisschen häufiger melden und dich mehr bei der Gruppenarbeit einbringen."

Kronprinz: "Mmmmpf".

Uta: "Ja, fandest du das Gespräch denn nicht gut?"

Kronprinz: "Kriegen wir jetzt eigentlich einen Internetverstärker?"

Ende des Gesprächs.

Auch Prinzessin ist keine Freundin von Lernzielgesprächen. Aber sie reagiert - typisch Frau - ganz anders darauf. Sie sucht Augenkontakt zur Lehrperson, trägt eifrig neue Lernziele ein und sitzt mit einem charmantem Dauerlächeln auf ihrem Stuhl.
Als wir nach dem jüngsten Lernzielgespräch die Treppe zum Parkplatz hinaufgingen, knetete sie ihre Wangen.

"Was machst du da?" - "Ich massiere mein Gesicht. Dieses Dauergrinsen ist so mega-anstrengend."

Ich bin vom Thema abgekommen.

Es ging darum, dass Allan Guggenbühl eine zu starke Individualisierung des Unterrichts für Jungen nicht gutheißt. Phasen des Frontalunterrichts seien wichtig für Jungen.
Ich zitiere: "Wenn die Lehrperson vor einer Schülerschar steht, auf sie einspricht und etwas verlangt, dann präsentiert sie sich als Oberbandenführer". Das bräuchten Jungs von Zeit zu Zeit. Überhaupt bräuchten sie die Gruppe oder Klasse, weil sie sich viel mehr in Hierarchien einsortierten als Mädchen. Die Klasse und ihre Struktur sei für sie eine wichtige Motivation (Besser in Mathe sein als Tim und fast so gut wie Leon). Bei zuviel Individualisierung und ständigem Werkstattunterricht, wo jeder an seinen Themen vor sich hinarbeitet, verlören Jungen ihren inneren Halt.

Ein typisches Gewächs des "weiblichen Biotops Schule" ist die Note für soziales Verhalten, die es inzwischen in vielen Bundesländern gibt. Dem Artikel zufolge sind zumindest die Kriterien, nach denen sie vergeben werden, zutiefst weiblich.
"...das Sozialverhalten ist inzwischen zur schulischen Schlüsselkompetenz aufgestiegen. Schüler und Schülerinnen sollen lernen, eigene Gefühle in Worte zu kleiden, Konflikte verbal zu meistern, zu kooperieren und sich in eine Gruppe einzufügen. ... Die Standards, durch die soziale Kompetenzen genauer festgelegt werden, entsprechen dem Sozialverhalten der Mädchen und nicht jenem der Jungen." (S. 165)
Jungen reagieren körperlicher, sie provozieren gerne, machen Witze und prahlen gerne, um Kontakt zur Gruppe aufzunehmen. Sie brauchen als Lehrer oder Lehrerin einen "Oberbandenführer", der das durchschaut, mal darüber lachen, es aber auch eindämmen kann, statt den Jungen gedanklich und im Zeugnis abzuwerten.

Ach, ich könnte noch so vieles aufgreifen aus dem Text. Aber das führt zu weit.

Für Zuhause noch den Tipp:

Wenn ihr mit eurem Sohn ein wichtiges Gespräch führen wollt, macht nicht die "Schau-mir-in-die-Augen-Kleiner-Nummer". Ihr kommt ihm viel näher, wenn ihr zusammen wandert, joggt oder etwas werkelt.

Immer fröhlich einen Jungen einen Jungen sein lassen

eure Uta

Mittwoch, 2. Oktober 2013

Glückliche Familie Nr. 172: Franz-Kasten


Unser Internet war so langsam geworden in letzter Zeit, dass ich den Müll rausbringen, die Nägel feilen  und die halbe Spülmaschine ausräumen konnte, bis endlich eure Kommentare auf dem Bildschirm erschienen waren.

Deshalb telefonierte ich mit dem Provider und schloss einen Vertrag über eine neue Datenverbindung. Der Unterschied ist etwa so groß wie zwischen Trampelpfad und Autobahn und die neue Autobahn kostet fünf Euro monatlich weniger, ja weniger, als der alte Trampelpfad (also Nachfragen kann sich lohnen).

Für den Autobahnanschluss sollten wir neue Hardware geschickt bekommen, also eine andere Fritzbox. Da erinnerte ich mich an einen Hinweis aus dem "Netzgemüse"-Buch. Dort stand, dass die Box mit dem netten Namen eine Jugendschutz-Vorrichtung enthielte. Dort könne man für jedes internetfähige Gerät in der Familie einstellen, wann und wie lange es Internet-Zugang gewährt.

So sympathisch, der Fritz in der Box. (Gibt es eigentlich auch einen Franz-Kasten?) Der Fritz auf jeden Fall kann sich wie ein Aufpasser zwischen Doppelhaushälfte und World Wide Web stellen.

Die Dame im Call-Center meinte, es handele sich um ein Extra-Fritzbox-Modell, das Aufpreis koste.

Egal, das war es mir wert.

Aber dann rief mich ein Techniker aus der Zentrale des Providers an und erklärte, auch das kostenlose Standard-Modell enthielte den Jugendschutz und er könne mir die Gratis-Hardware schicken.

"Damit müssen Sie unbedingt mehr Werbung machen", bedrängte ich ihn, "für Familien ist das genial." Der Techniker versprach, die Marketing-Abteilung darauf hinzuweisen.

Oder nutzt ihr das alle schon und keiner hat mir was gesagt? Wehe!

In der Nacht nach der Tarifumstellung und dem Anschluss der neuen Box schlich ich an den Computer und richtete für gewisse Familienmitglieder Zeitfenster für die Internetnutzung ein. Es ging ganz einfach.

So kann das dann aussehen:

Den Zeitplan habe ich aus dem Handbuch fotografiert, aber genauso hat man es auf dem Schirm, wenn man auf der Fritzbox-Seite auf "Heimnetz" geht. Die blauen Balken lassen sich nach Belieben verschieben, vergrößern oder verkleinern.


Wir haben gerade Herbstferien und besuchen die Großeltern im Ruhrgebiet und in Schwaben. In der kurzen Zeit bis zur Abreise scheinen gewisse Familienmitglieder von der Umstellung noch nichts bemerkt zu haben. 

Soll ich die Wahrheit sagen, wenn wir wieder zu Hause sind, oder soll ich empört einstimmen, wenn alle den Provider verfluchen, weil man mal wieder nicht ins Netz kommt?

Ich glaube, ich werde den Spaß ein wenig auskosten und dann die Veränderung "kommunizieren". 

Hilfreich finde ich einen solchen Jugendschutz auf jeden Fall, weil er mich auf sehr bequeme Weise unterstützt, das Internetsurfen ein wenig einzuschränken. Zudem kann man die Einstellung mit einem Passwort schützen.

Immer fröhlich wie ein Heinzelmännchen die Jugendschutzfilter aktivieren und sich technisch Hilfe holen beim Kultivieren des "Netzgemüses"

Uta

PS: Wahrscheinlich komme ich erst nach unserer Heimkehr in der nächsten Woche wieder dazu, hier zu posten. Bis dahin grüße ich euch herzlich. 

Donnerstag, 26. September 2013

Glückliche Familie Nr. 171: Losglück und Lebenshunger


Mein Mann meinte, ich könne nicht immer Juul zitieren.

Recht hat er.

Obwohl ich Juuls Gelassenheits-Pädagogik schon sehr verfallen bin: seinem Einfühlen ins Kind, seinem rührenden dänischen Akzent bei seinen Vorträgen und seinem Verständnis für familiäres Chaos. Ein Verständnis so breit wie sein Grinsen und so hoch wie die Dünen am Hennestrand.

Ich ging also in den örtlichen Buchladen und bestellte ein Buch von Jan-Uwe Rogge und Angelika Bartram.

"Die meisten bestellen ja Juul", sagte die Buchhändlerin und tippte Suchbegriffe ein. Ich sagte nichts und drehte am Ständer mit den Kunstkarten.

"'Wie Erziehung garantiert misslingt''', meinen Sie den Titel?" Der Kartenständer quietschte. "Ja, genau das Buch will ich haben."

Rogge und Bartram stellen fünf Erziehungsirrtümer an Beispielen dar und zeigen, wie man aus der jeweiligen Falle wieder heraus kommen kann.

Als Irrtümer werden genannt, wenn Eltern ...
  • glauben, sie könnten ihr Kind dazu bringen, im Leben etwas zu erreichen
  • daran fest halten, dass die Kinder ihnen gehorchen müssten
  • glauben, sie kämen ganz ohne Strenge aus
  • überzeugt sind, sie müssten immer für ihr Kind da sein
  • glauben, sie sollten ihre Kinder glücklich machen

Das sind zum Teil einander widersprechende Erziehungs-Tendenzen. Zu jeder Falle, in die man tappen kann, wird die Geschichte einer Familie erzählt. Die Autoren beschreiben, wie eine Strategie, an der sich Eltern festgebissen haben, zu wiederkehrenden Konflikten führt und das Miteinander sehr mühsam macht.

Ich kann noch keine Empfehlung für das ganze Buch aussprechen, weil ich noch nicht damit durch bin. Aber der Anfang ist vielversprechend.

Da ist Pia, die nach der Trennung von ihrem Mann den Schwiegereltern, sich und der Welt beweisen will, dass sie es auch alleine schafft mit den beiden Kindern. Ihr Mantra sind solche Sätze wie "Im Leben wird einem nichts geschenkt" oder "Wer nicht hören will, muss fühlen."

Ganz anders die Situation bei Nele, ihrem Mann Mario und dem gemeinsamen Sohn Jasper. Die Eltern sind beruflich erfolgreich und erziehen den Sohn mit Sätzen wie "Ohne Fleiß, kein Preis" oder "Was Hänschen nicht lernt ...". Der Junge muss direkt nach der Schule Hausaufgaben machen und sitzen bleiben, auch wenn er sich nicht mehr konzentrieren kann. Zur Belohnung schenken ihm die Eltern ein Golf-Training, das er gar nicht will.

Mit dieser Einstellung - so Rogge und Bartram - blieben die Eltern nicht im Jetzt, sondern wollten ihr Kind auf ein "imaginäres Später" vorbereiten. Und weil sie ihr Kind nicht in seiner Ganzheit sähen, sondern nur Talente, die sie so gern bei ihm entdecken würden, entstünde permanent Stress in ihrer Beziehung.

Ich möchte hier nicht im Einzelnen aufführen, welche Kurskorrekturen in dem Buch vorgeschlagen werden, um die Lage zu entspannen. Einen Satz aber, der mir besonders gefallen hat, möchte ich herausgreifen:

"Jeder abstrakten Erfahrung geht eine körperliche voraus."

Nicht nur Nele und Mario aus dem Buch, fast alle Eltern verfallen immer wieder einer viel zu akademischen Vorstellung vom Lernen: Schreibtisch, Bücher, Heft, Schönschreiben, Stillsitzen - das erfreut das Elternherz.

Nicht daran gedacht, dass Schaukeln bis in den Himmel die Gehirnhälften besser verdrahtet?

Schon vergessen, dass Klettern das räumliche Vorstellungsvermögen ausbildet?

Nicht gewusst, dass Balancieren eine wichtige Grundlage für das Matheverständnis ist?

Nicht selber schon gespürt, dass die Seele dürstet nach Singen, Tanzen und sich um sich selber drehen?


Kinder brauchen vor allem in den ersten zehn Jahres ihres Lebens folgende Möglichkeiten:
  • Seil springen
  • mit Bauklötzen bauen
  • Ball spielen
  • mit Sand spielen
  • rutschen, rennen, hüpfen
  • schaukeln
  • Höhlen bauen (draußen mit Zweigen oder drinnen mit Kissen und Decken)
  • balancieren
  • schnitzen
  • Nägel einschlagen
  • in Pfützen springen
  • malen, malen und malen
  • Tiere erleben/versorgen
  • sich um eine Puppe kümmern
  • trommeln
  • singen
  • sich verstecken
  • Geschichten hören

Tiere erleben: Prinzessin vor Jahren auf einem Bauernhof im Allgäu


Noch ein Tipp: Meine Elterntrainer-Kollegin hatte mal bei Baumfäll-Arbeiten in ihrer Nachbarschaft einen Stamm gerettet und auf ihre kleine Terrasse gelegt. Daneben immer griffbereit mehrere Hämmer und Nägel. Das war über Wochen die größte Attraktion für ihren Sohn und seine Freunde. 

Solche Angebote sind viel wichtiger als Früh-Englisch, Vorschul-Chinesisch oder sonstige Attentate, verübt von verkopften Erwachsenen auf lebenshungrige Kinder.

Mir bitte immer fröhlich schreiben, was ich in der Liste noch vergessen habe.

Uta


PS: Das Glückswindlicht aus Papier hat Sabrina von "Alltagssüß" gewonnen. Herzlichen Glückwunsch!
Schreibst Du mir bitte eine Mail mit Deiner Postanschrift? Dann kann ich das Glück eintüten.