Mittwoch, 10. Oktober 2012

Glückliche Familie Nr. 89: Wehen und Weihnachtsbaum


Wir schreiben den 10. Oktober anno 2012 und meine Schwester Nr. 2 hat schon einen Weihnachtsbaum.

In einer Schonung in Ostwestfalen flattert ein Zettel mit ihrem Namen an einer Tanne im Herbstwind. "Reserviert!"
Tags vor Weihnachten, also demnächst, wird er geschlagen und ins Haus geliefert.

Diese Nachricht platzte in mein tägliches Bemühen, im Hier und Jetzt zu leben. Aus meinen esoterischen Büchern habe ich gelernt, dass der gegenwärtige Augenblick die einzige Quelle für das Glück ist.

In meinem Alltag sieht das so aus:

Wenn ich schmutzige Socken entknubbele, ist der Sinn meines Lebens nichts weiter, als schmutzige Socken zu entknubbeln. Nirgendwo erfahren schmutzige Socken so viel Bewusstheit wie in unserem Haushalt.
Sich gedanklich abzuwenden von den Falke-Pärchen mit dem Softbündchen und an die nächste halbe Stunde oder gar an einen Weihnachtsbaum zu denken, verbiete ich mir eisern.

Der Weisheitslehrer Eckhart Tolle warnt davor, den gegenwärtigen Augenblick zu missachten.
"Du bist nie ganz hier, weil du immer damit beschäftigt bist, anderswohin zu kommen."
Ich will ganz hier sein.

Ich halte viel von Tolle. Aber eines muss ich gestehen: Wenn ich im Keller mit der Hand in muffigen Socken stecke und über meinem Kopf die Spinnen Tarzan spielen, will ich einen anderen gegenwärtigen Augenblick.

Für mich funktioniert am besten ein wohl rhythmisierter Wechsel
  • von Trubel und Innehalten
  • von Zack-Zack-Erledigungstagen und einem Lümmel-Wochenende ohne Termin
  • von körperlicher und geistiger Arbeit
  • von Tolle lesen und Socken waschen
  • von Alleinsein und mitten in Familie sein
Ich habe diese Gedanken, weil es gestern 15 Jahre her ist, dass mein Mann und ich in einer regnerischen Herbstnacht vor einer Frauenklinik auf und ab liefen. Nasse Windböen fuhren durch die Bäume am Straßenrand, eine Wehe nach der anderen fuhr durch meinen Körper. Viele Windstöße und viele, viele Wehen später wurde Kronprinz geboren. 

Die Zeit von damals bis heute kommt mir nur unwesentlich länger vor als von jetzt bis zum Weihnachtsbaum-Schlagen.

Das macht mir Angst. Deshalb bin ich um Gegenwärtigkeit bemüht selbst beim Socken-Knubbeln.

"Du kannst dein Leben nicht verlängern, du kannst es nur vertiefen." (Gorch Fock)

Gestern haben wir vertieft.

Ich habe das Wohnzimmer mit Geburtstagsgirlanden geschmückt, mein Mann hat Herzluftballons mit Fahrradpumpe aufgeblasen. Prinzessin hat der Katze von Kronprinz ein Happy-Birthday-Schild um den Hals gehängt und sie damit in sein Zimmer gedrückt. Mein Mann hat im Büro angerufen, dass er wegen Thronfolger-Geburtstag später kommt. Wir haben gesungen und lange gefrühstückt mit Brötchen und Eiern und Speck und Schoko-Muffins. Und alle hatten ein bisschen Pipi in den Augen wegen dem Geburtstagsbrief, den Papa geschrieben hat, und der XXL-Foto-Collage, die Prinzessin gebastelt hat.





Solche "gegenwärtige Augenblicke" sind mir die liebsten.

Immer schön fröhlich feiern, was es zu feiern gibt.

Uta

PS: Auch Tagebuchschreiben, Fotografieren, Bloggen, Malen, mit einem Becher Kaffee in der Hand die Kinder beim Spielen beobachten sind gute Lebens-Vertiefungs-Maßnahmen - finde ich.