Dienstag, 30. Oktober 2012

Glückliche Familie Nr. 95: Der Quadrant fürs Wesentliche


Anfang Dezember des vergangenen Jahres stand eine Frau vor mir im Einrichtungsladen und ließ sich ein Steckenpferd einpacken. "Dies ist das letzte Weihnachtsgeschenk", sagte sie stolz, "dann habe ich alle."

Ich schluckte. Es waren noch zweieinhalb Wochen bis Heiligabend und ich hielt Weihnachtsgeschenk  Nr. 1 in Händen.

Ich denke viel daran herum, wie ich im "Hier und Jetzt" leben kann und trotzdem das Morgen und Übermorgen plane, damit es dort auch ein gutes "Hier und Jetzt" gibt.

Habe ich nur den Eindruck oder blenden die Weisheitslehrer diesen Aspekt komplett aus, wenn sie im Lotussitz vor ihren Klangschalen sitzen?

Wie wichtig es ist, sich ab und an im Leben einen Plan zu machen, ist mir bei Steven R.Covey klar geworden. Der frühere Professor für Business Management und Begründer eines neuen Zeitmanagements hat ein Modell aus vier Quadranten entwickelt.





Quadrant 1: hier tröste ich das Kind, das sich das Knie aufgeschlagen hat, ich rufe den Handwerker an, weil die Heizung kaputt ist, ich überweise das Geld, das übermorgen fällig ist ... In den Quadranten 1 gehören alle Tätigkeiten, zu denen man keine Frage hat, ob sie getan werden müssen oder nicht.

Quadrant 2 ist der Quadrant des Planens. Hier mache ich mir Gedanken, warum ich gerade in meinem Job unglücklich bin und plane konkrete Schritte, um etwas daran zu ändern. Wenn es Stress gibt mit einem meiner Kinder, überlege ich, was ich tun kann, um das Miteinander schöner zu gestalten. Hier male ich mir aus, wie ich in diesem Jahr Weihnachten feiern möchte ... In diesen Quadranten gehört außer Planen auch Ausruhen und Kräfte sammeln oder künstlerisch tätig sein.

Quadrant 3: Dieser Quadrant ist voller e-Mails. Die meisten Botschaften, die man auf diesem Weg erhält, sind bei näherer Betrachtung nicht wichtig, suggerieren aber durch das Prinzip der Warteschleife Dringlichkeit. Man fühlt sich schlecht, wenn man nicht reagiert. Außerdem läuft der Papierkorb über.
Auch manche Arzttermine gehören hier herein: die fünfte Vorsorge-Untersuchung im Quartal, das Nocheinmal-Röntgen, Ultraschall von vorne und "Kern-Spin" rundum, weil der Arzt auch das letzte Restrisiko des Lebens noch ausschalten will.

In Quadrant 4 zappe ich durch die Fernsehprogramme, ohne etwas zu finden, was mich wirklich interessiert. Damit ist nicht gemeint, einen Film zu sehen, der einen wirklich unterhält und entspannt, sondern das geistlose Rumzappen und das schale Gefühl danach. In Quadrant 4 befindet sich auch das oberflächliche Gespräch, das niemanden weiterbringt, Klatsch und Tratsch, Small-Talk, BILD-"Lesen" ...

Steven R. Covey schreibt, dass Quadrant 2 der wichtigste Quadrant ist.

Wenn ich Quadrant 2 missachte, schwillt Quadrant 1 an. Dann ist plötzlich alles dringend und wichtig und ich habe Stress pur.

Und was ist nun mit den Weihnachtsgeschenken Ende Oktober?

Ich bin in mich, also in Quadrant 2, gegangen und bin zu folgendem Ergebnis gekommen:

Ich möchte Weihnachtsvorfreude auskosten, möchte mit den Kindern Schnee schaufeln und dann im Warmen das Räucherhäuschen anzünden und das erste Spritzgebäck kosten, ich möchte mit ihnen Tannenbäume auf Packpapier stempeln und mit Muße persönliche Geschenke besorgen. Damit ich dafür Zeit habe, fange ich morgen, am 30. Oktober, an, die ersten Geschenke zu besorgen. Puh!




Immer schön fröhlich planen

Uta

PS: Ich habe einen Blog-Award bekommen, hier. Vielen Dank Poie Sandybanks! Ich habe mich sehr darüber gefreut. Sorry, dass ich jetzt erst reagiere.

Donnerstag, 25. Oktober 2012

Glückliche Familie Nr. 94: "Make peace with temperature"


Gestern morgen trotzte Prinzessin (11) dem grauen Herbstwetter mit einem schulterfreien Top. Wir hatten 9 Grad (immerhin plus), Frühnebel und keinerlei Anzeichen für einen plötzlichen Hitzeeinbruch.

Am Nachmittag das umgekehrte Spiel. Es war bedeckt und mild und Prinzessin und ihre Freundin brachen dickvermummt in ihren neuen Winterjacken mit Daunenfüllung zum Laubfegen bei dem älteren Ehepaar in unserer Nachbarschaft auf.


Aus der Pubertäts-Kollektion "Make peace with temperature"


Pubertierende lehnen sich gegen alles auf, auch gegen das Wetter.

Bodenfrost? - Wie spießig.

Hagel- und Graupelschauer? - Mensch, Tiefdruckgebiete, chillt euch.

Dauerregen? - Hey, Wolken, was geht ab?

Ich lasse meinen Kindern völlige Freiheit, wenn es darum geht, wie warm sie sich anziehen oder wie viel sie essen möchten (hier).

Als die beiden Mädchen aber mit ihren nagelneuen Jacken zur Gartenarbeit aufbrachen, wollte ich ihnen alte Pullover von mir ausleihen. (Muss man mit Kehrblech und Rechen in der Hand gut aussehen? Suchen die Scouts von Heidi Klum auch in den Laubhaufen von Rentnern nach neuen Models?).

"Lass mal, Mama", sagte Prinzessin, "wir ziehen die Jacken eh gleich aus, weil wir bei der Arbeit immer so schwitzen." - "Trotzdem", brüllte ich hinterher, aber da waren die Eskimo-Gärtner schon um die Ecke verschwunden.

Am Vorabend hatte ich im Gymnasium unserer Kinder einen Vortrag des Erziehungswissenschaftlers und Kriminologen Jens Weidner gehört. "Es reicht", sagte Weidner, "wenn Eltern sich zu 80 Prozent gegen ihre Kinder durchsetzen. Sie müssen mit ihrem Eingreifen nicht immer Erfolg haben. Eine Erfolgsquote von 80, höchstens 90 Prozent reicht aus." Wichtig sei, dass wir gegenüber unseren Kindern oder Jugendlichen einen klaren Standpunkt hätten, nicht so sehr, ihn immer durchzusetzen. Der Professor machte eine kleine Pause, trat auf die andere Seite seiner Präsentations-Leinwand und ergänzte: "100 Prozent Durchsetzungserfolg zerstört die Beziehung."

Ich war sehr beglückt. Wieder ein Zitat für meine Sammlung "Entlastende Sätze für Eltern".

Als nun die beiden Gartenarbeiterinnen abgerauscht waren, durchfuhr mich der Weidner-Satz. Nicht der Entlastende, sondern der andere.
"Ich muss was für meine Durchsetzungsquote tun", dachte ich, rannte den Mädchen hinterher und stellte mich ihnen breitbeinig in den Weg. "Hey, es ist einer neuer Sheriff in der Stadt." Ich ließ die Handschellen an meiner Hüfte baumeln, hielt ihnen aber wortlos zwei alte Jacken hin. "Mama, wir ziehen die doch sowieso gleich aus." - "Ihr zieht diese Klamotten an. Ich will nicht, dass die neuen Jacken im Eichhörnchen-Pipi auf der Erde landen."

Immer fröhlich auf die Durchsetzungsquote achten

Uta    


Montag, 22. Oktober 2012

Glückliche Familie Nr. 93: Einfühlsames Spiegeln


Die Frau blättert in den Blusen am Ständer, das größere Mädchen dreht sich vor dem Spiegel, das kleine Mädchen schwankt langsam auf die Rolltreppe zu, die immer neue Stufen steil nach unten wälzt. Da bewegt sich was, lässt große Menschen kleiner wachsen und verschwinden.

Das kleine Mädchen wird schneller, hat bald den Spalt erreicht, aus dem die Stufen fließen. "Neiiiiiiiiiin!" Das ist Mama, die schreit, und Mamas Arm, der das kleine Mädchen vom oberen Absatz der Rolltreppe reißt.

Schwer atmend hält die Frau das Kind auf dem Arm. Der Buggy mit den aufgespießten Tüten ist umgekippt. Das kleine Mädchen brüllt, aber die Frau drückt es mit beiden Armen an sich.

"Das ist ja gerade noch mal gut gegangen - es ist gut, es ist alles wieder gut."

Das Mädchen weint, die Leute gucken.

"Du wärest mir fast da runter gestürzt. Man war das knapp!"

Der kleine Körper auf dem Arm zieht neue Luft für weiteres Schluchzen.

"Das war ein großer Schreck für dich, oder?"

Das Mädchen weint und weint.

"Mama kann ganz schön laut brüllen, oder?"

Kind weint ein bisschen weniger.

Mutter: "Es ist alles gut." (lässt Kind wieder vom Arm und geht in die Hocke, um es weiter zu trösten)

Kind bekommt Nase geputzt und weint noch ein bisschen vor sich hin.

Mutter streicht ihm über den Rücken. "Jetzt hast du dich wieder beruhigt von dem Schreck, oder?"

Das Kind schluckt letzte Tränen runter, die Frau richtet den Buggy wieder auf. Sie ruft das große Mädchen, setzt sich das kleine Mädchen auf die Hüfte und geht mit den Kindern zur Kasse.



Utas Kurzanalyse einer Erziehungssituation:

Die Frau hat sich super verhalten,
  • weil sie nicht schimpft (völlig normale Entdeckerlust eines Kleinkindes, kein Grund zum Schimpfen)
  • weil sie mit viel Körperkontakt tröstet
  • weil sie die Gefühle des Kindes erkennt und in ihre Worte fasst ("Das war ein großer Schreck für dich, oder?") 

Diese Reaktion ist ideal für den Aufbau einer sicheren Bindung. Das habe ich aus dem Buch des Bindungsforschers Karl Heinz Brisch. Nicht nur, dass die Frau über Körperkontakt tröstet, was die meisten Eltern instinktiv tun würden, sondern dass sie das innere Erleben des Kindes "spiegelt". Sie macht sich Gedanken, was in dem Kind gerade vorgeht, und fasst es für das Kind in Worte. Worte, die dem Kind selber noch nicht zur Verfügung stehen. Das schafft eine intensive Bindung. Das kleine Mädchen fühlt sich verstanden und beruhigt sich schnell wieder. Und wenn die Mutter häufiger so reagiert, lernt es auch, bald Worte zu finden für sein eigenes Gefühlsleben. Das macht Kinder selbstsicher.


"He, du hast Spaß beim Welterkunden, oder? Eine erste kleine Erschöpfung sehe ich in deinem Gesicht, aber ein bisschen geht noch, oder?"

Schade, dass das bei Jugendlichen nicht mehr hilft mit dem "Spiegeln".

Mutter zu ihrem heranwachsenden Sohn: "Du hast so trübe Augen. Es macht dir zu schaffen, so lange vor dem Computer zu sitzen, oder?"

Sohn: (grummel, grummel)

Mutter: "Du fühlst dich leer und seelisch ausgebrannt von den vielen Reizen, oder?"

Sohn: (grummel, grummel)

Mutter: "Es wird alles wieder gut, mein Großer, wir bringen das Ding auf den Elektro-Schrott."

Sohn: (wird handgreiflich)


Bei den Kleinen immer schön fröhlich "spiegeln"

Uta

Freitag, 19. Oktober 2012

Glückliche Familie Nr. 92: Der Ruck


Prinzessin (11) hatte diese Woche aufzuschreiben, was ihre Kindheit von der Kindheit Jesu unterscheide. Ihr fiel als erstes dazu ein, dass sie Eltern habe, die weniger streng sind als Jesu Eltern es waren.

Ich ließ das mal so stehen.

Ich meine, Jesus war für mehrere Tage einfach weggelaufen. Als Maria und Josef ihn im Tempel wieder fanden, stellten sie ihn zur Rede, waren aber schnell besänftigt, weil theologische Gründe den Zwölfjährigen ins Gotteshaus geführt hatten.

Wenn ich Prinzessin nach mehreren Tagen im nahegelegenen Einkaufszentrum aufgreifen würde (die Kirchen im Umkreis sind verschlossen), könnte Prinzessin nur ökonomische Gründe aufführen und es gäbe ein gehöriges Donnerwetter.

Diese Möglichkeit erwähnte ich gegenüber Prinzessin nicht.

Zu sehr gefiel mir mein Milder-als-Maria-Image, als dass ich diese Blase hätte platzen lassen wollen.

Gerade wandelte ich wieder auf dem Pfad der Güte, als ich kurz nach dem Mittagessen an unserem Schlafzimmer vorbeikam. Prinzessin fläzte sich auf unserem frisch bezogenen Doppelbett  und chattete auf dem iPad.

Überhaupt das iPad. Es hat das Format der alten Schiefertafel, bietet aber explodierend viele Möglichkeiten. Groß genug, um darauf mit Spaß zu spielen oder Filme zu sehen, klein und flach genug, um es schnell unter einem Kissen verschwinden zu lassen. Es ist des Teufels.


Suchbild - wer findet das iPad?


Manchmal verfluche ich den Tag, an dem das Ding in unser Haus kam. Und weil Prinzessin beim Essen am Mittag auch noch alle Röstzwiebeln aus den Käsespätzle gepult hatte, war es vorbei mit meiner Maria-Milde.
Ich jagte meine Tochter aus dem Elternschlafzimmer, wie Jesus die Marktschreier aus dem Tempel. Stürmte die Treppe runter, weil ich Käse aus der Pfanne kratzen musste, stürmte die Treppe wieder hoch, weil ich vergessen hatte, das iPad zu beschlagnahmen.

"Wir bieten den Kindern so viel und fordern zu wenig", sagte mein Mann am Telefon. "Sie müssen mehr Durchhaltevermögen lernen."

Das hatte mir gerade noch gefehlt, eine Ansprache aus dem Off.

Ärgerlich spitzte ich die Käsekrusten aus dem Teflon. Die Wahrheit ist manchmal schmerzhaft. Arme Uta, arme Pfanne.

Aber dann gab ich mir einen Ruck. Ich tat das, was ich in solchen Situationen immer tue: Ich kochte mir einen Kaffee, nahm mir mein Tagebuch und schrieb auf, welche Erkenntnisse ich aus der Situation ziehen könnte.

  • Anderen Eltern raten, sich die Anschaffung eines Tablet-Computers gut zu überlegen. Lieber einen immobilen Tisch-Computer für alle zugänglich im Wohnraum aufstellen, dann fällt die Kontrolle leichter. 
  • Zeit begrenzen und mit Prinzessin sprechen: 30 Minuten mittags am iPad spielen ist zum Entspannen okay. iPad ist dann erst am Abend wieder erlaubt, wenn Hausaufgaben gemacht sind, Freunde getroffen oder Sport getrieben wurde. 
  • Mit Kronprinz (15) wieder eine Zeit festlegen, wann er in der Schulwoche im Bett liegen muss. Es war wieder eingerissen, dass er erst nach Mitternacht zur Ruhe fand und ein gewaltiges Schlafdefizit vor sich herschob.
  • Wenn schon Computer-Spiele, dann auch mal zusammen. Zum Glück macht es meinem Mann Spaß, mit Prinzessin ein Strategie-Spiel im Internet zu spielen. Sie müssen ein Dorf vor Feinden verteidigen, Kanonen anschaffen und Schutzmauern errichten. Das schweißt zusammen. Wenn er von der Arbeit kommt, läuft Prinzessin ihm schon entgegen: "Wir sind angegriffen worden." - "Wie kann das sein, ich habe doch eine Kanone auf Level 4 installiert?"

Liebe Religionslehrerin, wenn man sich überlegt, in welchen Punkten sich Prinzessins Kindheit von Jesu Kindheit unterscheidet, dann fällt mir eine Menge dazu ein. 

Immer schön fröhlich bleiben

Uta

Dienstag, 16. Oktober 2012

Glückliche Familie Nr. 91: Känguru kraulen


Wir sind "Dance-Academy"-Fans, Prinzessin (11), ich und sogar mein Mann.

Die australische Fernsehserie, die bis vor kurzem von montags bis donnerstags um 20.10 Uhr auf KiKA lief (dritte Staffel für Herbst 2013 angekündigt), erzählt die Geschichte von Tara Webster, einem jungen Mädchen von einer Farm im Outback, die davon träumt, Prima Ballerina zu werden. Tara schafft die Aufnahme an der National Academy of Dance in Sydney und erlebt mit ihren Mittänzern alle Höhen und Tiefen des Erwachsenwerdens. Es geht um Freundschaft, Liebe, Konkurrenz und natürlich Tanzen.

Wir haben einige Folgen aufgezeichnet. Und so kann es sein, dass ich vom Einkaufen nach Hause komme und den Reis und die Nudeln nur einräumen kann, wenn ich stoßweise zum Küchenschrank stürme, weil Prinzessin wieder die Beine schwingt. Dann hält sie sich an der Kante der Arbeitsplatte fest und versucht, einen Fuß auf die Spüle zu legen (ist ja auch gedacht für Füße). Und ich weiß, dass sie wieder heimlich "Dance Academy" gesehen hat und für das "Pas de deux" mit Ben trainiert.

Ich bin ja nicht so beeinflussbar von solchen Streifen. Gut, als Tara in der Folge neulich die Ferien mit Christian auf der Farm im Outback verbrachte, merkte ich erst beim Abspann, dass ich nicht das Känguru-Baby kraulte, das ich mit der Flasche groß gezogen hatte, sondern unseren Kater.

Dass ich in Filmwelten so versinke, war früh angelegt. Als ich so alt war wie Prinzessin (11), durfte ich "Black Beauty" sehen. (Wisst ihr noch, die Serie mit der englischen Tierarzttochter und ihrem schwarzen Hengst?). Kaum war der Fernseher aus, sattelte ich mein Fahrrad und ritt um den Häuserblock. Ich trieb meinen "Black Beauty" über die Behindertenrampe in der Grünanlage bei uns an der Kirche und täschelte die beiden Stangen vom Fahrradrahmen, weil mein Draht-Rappe wieder so toll über das Gatter gesprungen war. "Beauty" flüstere ich zärtlich und legte meinen Kopf auf den Lenker.

In Filmwelten versinken zu dürfen, finde ich wunderschön. Deshalb habe ich auch kein Verständnis dafür, wenn Kronprinz (15) auf Geburtstagspartys eingeladen ist, wo die Eltern erlauben, drei oder vier Filme hinter einander zu sehen.
Wie kann man sich so die Birne zuknallen? Nichts kann da nachwirken, kein Plot kann weiter gesponnen werden, kaum ein Held schafft es in die Träume der Jugendlichen. Und ich stelle mir das Unterbewusstsein nach so einer "Party" vor wie ein "Guernica" aus Verfolgungsjagden, Schlägereien, Liebesszenen und Autorennen.

Dann lieber eine Folge "'Dance Academy" sehen.




Ich mag daran,
  • dass Xenia Goodwin, die Tara im Film, ein Mädchen ist wie du und ich. Nur, dass ich (ächz), das Bein nicht so hoch kriege. 
  • dass alle Tänzerinnen im Film ein bisschen moppelig sind. Damit der Film keinen Teenager zur Magersucht verleitet, hatte beim Casting wohl niemand eine Chance, bei dem man durch das Tanztrikot die Knochen zählen konnte. 
  • dass Tara als Erzählerin durch die Serie führt und ihre (manchmal) klugen Schlussfolgerungen aus dem Erlebten zieht. 
Ich achte trotzdem darauf, dass Prinzessin nicht zu oft vor dem Fernseher hängt und dass sie nicht sieht, wie ich beim Zähneputzen meine schmerzenden Zehenspitzen in den Badezimmerläufer bohre, die elektrische Zahnbürste wie einen Nussknacker in den Händen halte und mich damit bis zur Dusche drehe.

Sich immer schön auf einen Film beschränken und das Känguru kraulen

Uta

PS: Staffel 2 wird seit vergangenen Samstag immer um 10.35 Uhr im ZDF wiederholt.

Samstag, 13. Oktober 2012

Glückliche Familie Nr. 90: Pokerface-Baby


Einst schrieb ich für eine Schweizer Zeitung über ein kleines Mädchen, das im Trennungskrieg der Eltern von seinem Vater entführt worden war. Über viele Monate war Monique in den USA verschollen. Ein halbes Jahr später wurde das Mädchen entdeckt und der Vater verhaftet. Die Mutter, eine gebürtige Schweizerin, kehrte mit dem Kind nach Zürich zurück. Ein Schweizer Gericht aber entschied, sie müsse das Kind in die USA zurückbringen. Aus Angst, ihr würde das Kind erneut genommen, tauchte die Mutter unter und floh mit dem Mädchen quer durch Europa.

Eine traurige Geschichte. Und ich hatte den Auftrag, sie zu erzählen.

Während der Recherchen war die kleine Monique stundenweise in meiner Obhut, weil ihre Mutter Anwaltstermine hatte oder zu einer Behörde musste. Mein Mann und ich glaubten, das traumatisierte Kind würde bei uns weinen oder randalieren, weil wir ihm völlig fremd waren. Aber nichts dergleichen.
Monique, damals drei Jahre alt, verhielt sich, als hätte sie schon immer bei uns gelebt. Sie spielte friedlich, kuschelte sich an uns, behandelte meine Schwiegereltern, die zu Besuch kamen, wie Oma und Opa, schmuste sogar mit ihnen.

Es war gespenstisch. Wir hatten plötzlich eine kleine Shirley Temple auf dem Schoß. Lockig, zuckersüß und ohne irgendeine Distanz zu Fremden.

Dieses Erlebnis fiel mir wieder ein, als ich in einem Buch des Bindungsforschers Karl Heinz Brisch las. Brisch erklärt die drei unterschiedlichen Bindungstypen:

  • Typ 1, die sichere Bindung:  Kind weint bei Trennung von Bezugsperson, lässt sich aber bei deren Rückkehr schnell wieder beruhigen
  • Typ 2, die unsicher-vermeidende Bindung:  Kind zeigt kaum Regung sowohl bei der Trennung als auch bei der Wiederkehr der Bezugsperson
  • Typ 3, die unsicher zwiespältig-ängstliche Bindung:  Kind weint bei Trennung und lässt sich bei Rückkehr der Bezugsperson kaum beruhigen, will Trost und tritt gleichzeitig um sich 

Monique zeigte ganz klar das Typ2-Verhalten. Ein kleines Mädchen, das seine wahren Gefühle hinter einer einstudierten Fröhlichkeit verbarg.

Brisch schreibt über diesen Typ:
In den Augen der Bindungspersonen selbst sind diese Kinder nach außen autonom, zufrieden und können mit Trennungen hervorragend umgehen... ein Kind, wie es sich viele Eltern für das Säuglings- und Kleinkindalter wünschen. Sie können sehr rasch und wechselnd bei verschiedenen Personen - heute bei der einen Babysitterin, morgen bei der anderen - "deponiert" werden....Aufgrund der Forschung wissen wir aber, dass diese Kinder nicht in sich ruhen und solche Trennungssituationen durchaus nicht stressfrei erleben.Genau das Gegenteil ist der Fall. Untersuchungen des Herzschlags und der Herzfrequenz sowie des Hautwiderstandes und auch die Messungen - zum Beispiel im Speichel - des Stresshormons Kortisol haben gezeigt, dass diese Kinder in Trennungssituationen genauso wie die bindungssicheren Kinder mit einer stressvollen Aktivierung ihres Körperbindungssystem reagieren: Der Puls schlägt schneller und sie schütten deutlich Stresshormone aus. Im Unterschied zu sicher gebundenen Kindern haben bindungsvermeidende Kinder bis zum Ende des  ersten Lebensjahres aber bereits gelernt, solche ... Bindungssignale nicht nach außen zu zeigen. (Karl Heinz Brisch: SAFE, Sichere Ausbildung für Eltern, Stuttgart 2010, S. 44/45)

Das ist furchtbar, oder? Noch kein Jahr alt und schon ein Pokerface.

Monique hatte rasant schnell gelernt, sich an die Welt der Erwachsenen anzupassen. Und diese Welt  war furchtbar für sie: monatelang war für sie die Mutter verschwunden, dann wieder der Vater. In sieben oder acht verschiedenen Krippen oder Kindergärten musste sie sich eingewöhnen und an plötzlich auftauchende Babysitter. Die beste Strategie war für sie, schon als Baby ihre wahren Gefühle zu verbergen und pflegeleicht zu sein.

Sieben oder acht Kitas in weniger als drei Jahren.                                 Foto: Kronprinz (15) beim Sozialpraktikum


Nach dem Erscheinen meines Artikels über diesen transatlantischen Krimi hatte ich keinen Kontakt mehr zu Monique und ihrer Mutter. Deshalb kann ich euch leider nicht schreiben, wie die Geschichte ausgegangen ist.

Wenn ihr aber Probleme habt, euer Kind in einer Krippe oder an eine neue Tagesmutter zu gewöhnen, kann die Geschichte von Monique eure Probleme relativieren.

Euer Kind weint, wenn ihr geht? Es beruhigt sich bald nach eurer Rückkehr?
Dann habt ihr ein bindungssicheres Kind.

Gebt ihm viel Zeit, sich zusammen mit euch in eine neue Situation einzugewöhnen. Das ist eine Investition, die sich lohnt.

Jetzt klinge ich wie eine Versicherungsvertreterin und höre liebe auf.

Immer behutsam eingewöhnen

Uta


Mittwoch, 10. Oktober 2012

Glückliche Familie Nr. 89: Wehen und Weihnachtsbaum


Wir schreiben den 10. Oktober anno 2012 und meine Schwester Nr. 2 hat schon einen Weihnachtsbaum.

In einer Schonung in Ostwestfalen flattert ein Zettel mit ihrem Namen an einer Tanne im Herbstwind. "Reserviert!"
Tags vor Weihnachten, also demnächst, wird er geschlagen und ins Haus geliefert.

Diese Nachricht platzte in mein tägliches Bemühen, im Hier und Jetzt zu leben. Aus meinen esoterischen Büchern habe ich gelernt, dass der gegenwärtige Augenblick die einzige Quelle für das Glück ist.

In meinem Alltag sieht das so aus:

Wenn ich schmutzige Socken entknubbele, ist der Sinn meines Lebens nichts weiter, als schmutzige Socken zu entknubbeln. Nirgendwo erfahren schmutzige Socken so viel Bewusstheit wie in unserem Haushalt.
Sich gedanklich abzuwenden von den Falke-Pärchen mit dem Softbündchen und an die nächste halbe Stunde oder gar an einen Weihnachtsbaum zu denken, verbiete ich mir eisern.

Der Weisheitslehrer Eckhart Tolle warnt davor, den gegenwärtigen Augenblick zu missachten.
"Du bist nie ganz hier, weil du immer damit beschäftigt bist, anderswohin zu kommen."
Ich will ganz hier sein.

Ich halte viel von Tolle. Aber eines muss ich gestehen: Wenn ich im Keller mit der Hand in muffigen Socken stecke und über meinem Kopf die Spinnen Tarzan spielen, will ich einen anderen gegenwärtigen Augenblick.

Für mich funktioniert am besten ein wohl rhythmisierter Wechsel
  • von Trubel und Innehalten
  • von Zack-Zack-Erledigungstagen und einem Lümmel-Wochenende ohne Termin
  • von körperlicher und geistiger Arbeit
  • von Tolle lesen und Socken waschen
  • von Alleinsein und mitten in Familie sein
Ich habe diese Gedanken, weil es gestern 15 Jahre her ist, dass mein Mann und ich in einer regnerischen Herbstnacht vor einer Frauenklinik auf und ab liefen. Nasse Windböen fuhren durch die Bäume am Straßenrand, eine Wehe nach der anderen fuhr durch meinen Körper. Viele Windstöße und viele, viele Wehen später wurde Kronprinz geboren. 

Die Zeit von damals bis heute kommt mir nur unwesentlich länger vor als von jetzt bis zum Weihnachtsbaum-Schlagen.

Das macht mir Angst. Deshalb bin ich um Gegenwärtigkeit bemüht selbst beim Socken-Knubbeln.

"Du kannst dein Leben nicht verlängern, du kannst es nur vertiefen." (Gorch Fock)

Gestern haben wir vertieft.

Ich habe das Wohnzimmer mit Geburtstagsgirlanden geschmückt, mein Mann hat Herzluftballons mit Fahrradpumpe aufgeblasen. Prinzessin hat der Katze von Kronprinz ein Happy-Birthday-Schild um den Hals gehängt und sie damit in sein Zimmer gedrückt. Mein Mann hat im Büro angerufen, dass er wegen Thronfolger-Geburtstag später kommt. Wir haben gesungen und lange gefrühstückt mit Brötchen und Eiern und Speck und Schoko-Muffins. Und alle hatten ein bisschen Pipi in den Augen wegen dem Geburtstagsbrief, den Papa geschrieben hat, und der XXL-Foto-Collage, die Prinzessin gebastelt hat.





Solche "gegenwärtige Augenblicke" sind mir die liebsten.

Immer schön fröhlich feiern, was es zu feiern gibt.

Uta

PS: Auch Tagebuchschreiben, Fotografieren, Bloggen, Malen, mit einem Becher Kaffee in der Hand die Kinder beim Spielen beobachten sind gute Lebens-Vertiefungs-Maßnahmen - finde ich.

Sonntag, 7. Oktober 2012

Glückliche Familie Nr. 88: Wieder daheim


Vor der Reise zu den Großeltern hatte ich mich mit den Kindern zusammen gesetzt und wir hatten vereinbart, dass sie während unseres Besuches weder iPod noch Nintendo nutzen (hier). Jetzt sind wir zurück gekehrt und ich kann berichten, ob es funktioniert hat.

Es hat.

Wir hatten eine schöne Zeit. Wir haben zusammen Karten gespielt, uns unterhalten. Kronprinz (14)   hat einen alten Schallplattenspieler auf dem Dachboden entdeckt und mit Opa daran herum gebastelt. Prinzessin (11) hat mit Oma gespielt und fast ein ganzes Buch gelesen ("Der Schneewittchen-Club" von Lily Archer). Das ist erwähnenswert, weil sie sonst kaum liest. Zum Austoben zwischendurch sind wir eine begrünte Kohlenhalde (meine Eltern leben im Ruhrgebiet) hochgeklettert und haben die Aussicht über eine spannende Landschaft genossen.


Ich habe daraus gelernt: 
  • Vorher Vereinbarungen zu treffen, lohnt sich.
  • Schon die gemeinsame Absicht auszusprechen "Wir wollen eine intensive Zeit mit Oma und Opa verbringen", zeigt Wirkung.
  • Dass jeder seine Bedingungen nennen darf (Nintendo während der Autofahrt erlaubt), sorgt für problemlose Umsetzung der vereinbarten Regeln.
  • Der Satz "Regeln gelten nur, wenn alle zugestimmt haben, sonst sind es Befehle" ist Gold wert, besonders in den Zeiten der Pubertät.


Die Kinder haben sich vorbildlich verhalten, nur Oma und Opa, die sind wieder rückfällig geworden.


Marius van Dokkum: Meegaan met je tijd/Keeping up with the times ..., 2006, Oil on panel

Immer schön fröhlich bleiben

Uta

Mittwoch, 3. Oktober 2012

Glückliche Familie Nr. 87: Inkontinenzverschiebung


Ich hatte angekündigt, dass wir in den Herbstferien zu den Großeltern fahren. Heute ist es soweit. Eine solche Autoreise ist ein guter Anlass, euch mit einem Phänomen bekannt zu machen, das in der Literatur noch nicht beschrieben worden ist:

Die familiäre Inkontinenzverschiebung.

Ihr kennt vielleicht die Kontinentalplattenverschiebung, aber nicht das Phänomen der Inkontinenzverschiebung. In Familien passiert das automatisch im Laufe der Jahre.

Während wir früher auf langen Autofahrten anhalten mussten, weil die Kinder eine neue Windel brauchten oder aufs Klo mussten, müssen wir heute einen Rastplatz anfahren, weil ich es nicht mehr aushalte. Das ist die familiäre Inkontinenzverschiebung.

"Mama, du hättest zu Hause noch einmal gehen sollen." -

"Habe ich doch gemacht." -

"Jetzt müssen wir nur wegen diiiiiiiiiiir wieder anhalten."

Verschoben haben sich auch die Trinkbedürfnisse. Ging bei den Kindern früher gar nichts ohne Flasche, stehen bei mir heute ein Becher "Coffee to go" und eine kleine Flasche Wasser in der Mittelkonsole unseres Autos. Hier schließt sich der Kreis zum Inkontinenz-Problem.






Bevor ich meine Trinkflaschen ins Auto trage, möchte ich euch noch einen Tipp mitgeben, den ich gestern beim Ausmisten auf dem Dachboden entdeckt habe. In einer Beilage zu dem Familienkatalog JAKO-O fand ich "Teamregeln" für Eltern.


  • "Wer zuerst auf das Kind reagiert, hat recht."
  • "Wer für das Kind momentan zuständig ist, hat recht."

"Die positiven Auswirkungen solcher tolerierten unterschiedlichen Sicht- und Handlungsweisen setzen Eltern immer wieder in Erstaunen." (JAKO-O, Familienmagazin, Ausgabe 1, 2009)


Ich finde, da ist genau so viel dran, wie an der familiären Inkontinenzverschiebung.

Bis zu meiner Rückkehr immer schön fröhlich bleiben

Uta