Dienstag, 24. Juli 2012

Glückliche Familie Nr. 64: Lückenlose Aufklärung


Ich habe mich vergangene Woche über einen Schub neuer Follower gefreut. Kronprinz (14) hat die Entwicklung in einem Diagramm festgehalten. Die Grafik hängt in der Küche. Und er legt Wert darauf, dass nur er den Zuwachs eintragen darf.









Den steilen Anstieg verdanke ich meiner Leserin "Papagena". Sie hat in ihrem Blog "Die Kunst den Alltag zu feiern" auf meine Episoden rund um das Katzenklo hingewiesen. Vielen Dank! 

Bei "Papagena" traf ich auf diese Geschichte. Sie handelt von ihrer Tochter, die einen Brief ihrer Grundschullehrerin mit nach Hause brachte. Darin weist die Lehrerin die Eltern darauf hin, dass Töchterchen in letzter Zeit ein Problem mit Gewalt habe. Um es vorweg zu nehmen: die Rede ist von "an der Kapuze ziehen und daraus resultierendes Würgen am Hals durch den Reißverschluss". (Wir sind an dieser Stelle froh, dass Schulen heute kein Kellerverlies mehr haben. Sonst wäre die kleine Papagena wohlmöglich in Untersuchungshaft genommen worden.)

Liebe MamaPapagena,
auch wir hatten schon so eine Nachricht aus der Grundschule. Prinzessin, damals 9, soll einen Mitschüler getreten haben. "Ja, ja, das stimmt", sagte Prinzessin, als ich sie zur Rede stellte, "J. hatte mich ins Gesicht geschlagen. Aber ich renne ja nicht gleich wegen jeder Kleinigkeit zu Frau M. Ich wehre mich halt." 
Ein anderes Mal soll sie und mehrere Komplizen aus der Klasse bei einem Gerangel die Ranzenschnalle eines Mitschülers kaputt gemacht haben. Frau M. mühte sich um Aufklärung. An mehreren Tagen hintereinander durften die fünf Tatverdächtigen nicht in die Pause, sondern sollten sich im Verhör mit der Lehrerin zu den Anschuldigungen äußern. Nachdem mehrere solcher Gespräche stattgefunden hatten, kam Prinzessin mittags weinend nach Hause. Sie hatte bisher nichts davon erzählt, aber jetzt war sie mit den Nerven fertig. 

Ich weiß Frau M.'s Bemühungen um lückenlose Aufklärung zu schätzen. Wohlmöglich hatte sie im Dienst der Gerechtigkeit auf ihren Pausenkaffee verzichtet. Sie wollte - wohl auf Druck der Mutter des"Opfers"- unbedingt den oder die Schuldige finden. Dabei hatten wir anderen Eltern längst angeboten, gemeinsam die Kosten für die Ranzen-Reparatur zu übernehmen. Das Verfahren wurde endlich eingestellt. Und ich war froh, dass nicht noch Fingerabdrücke oder Speichelproben genommen wurden. 

Meine Freundin Irmgard hat - bevor sie als Lehrerin in Pension ging - an ihrer Schule Schüler zu Streitschlichtern ausgebildet. Eines der Prinzipien ist, dass die Streithähne sich in Ruhe zusammensetzen und jede Konfliktpartei die Möglichkeit bekommt, ihren Standpunkt vorzutragen.

Regeln einer Schlichtung:
  • wir lassen den anderen ausreden
  • es redet immer nur einer
  • wir werden nicht handgreiflich
  • wir sagen keine Schimpfwörter
  • Persönliches wird vertraulich behandelt
  • wir hören dem anderen zu
  • wir finden eine gemeinsame Lösung
  • wir sind ehrlich miteinander
Es ist ganz schlicht. Schon nach dem ersten Punkt sind die meisten Streitigkeiten beendet. Mehr braucht es häufig nicht. Wichtig ist, dass sich Lehrer oder andere Erwachsene nicht als Richter einmischen. Sie sind höchstens als Moderatoren gefragt. 

Ich wundere mich, dass sich nicht alle Lehrer auskennen mit "Streitschlichtung". Das ist doch keine Raketenwissenschaft.

Und wenn ich die Wahl hätte, ob alle Kinder und Lehrer in der Schule Streitschlichtung lernen oder ob sie lernen, was ein Indefinitpronomen ist, müsste ich nicht lange überlegen. 

Mit meiner Freundin Irmgard, der ehemaligen Lehrerin, sprach ich ausführlich über das Thema Streit*. Ich habe noch erfahren, 
  • dass Mobbing definiert wird als Drangsalieren des immer gleichen Opfers über längere Zeit. Von Mobbing spreche man auch erst, wenn das Opfer selber das Verhalten anderer als unerträglich empfinde
  • dass es Mobbing schon immer gegeben habe, heute ist durch das Internet nur eine neue Variante, das anonyme Mobbing, dazu gekommen
  • dass auch Lehrer mobben, wenn sie zum Beispiel Schüler "vorführen".

Ich möchte noch etwas zum Thema Gewalt schreiben:

Als Kronprinz in der fünften Klasse war, gab es einen Mitschüler, der ihn immer wieder an den Haaren zog. Obwohl unser Sohn ihm mehrfach sagte, er möchte damit aufhören, ging das Haareziehen tagelang weiter. Schließlich scheuerte Kronprinz dem Jungen eine. Der Klassenlehrer bekam das mit, hörte sich beide Positionen an, ließ die Jungs sich gegenseitig entschuldigen und das Thema war für alle Zeit beendet. Heute verabreden sich die beiden gelegentlich. 

Als ich bei einem Frauenfrühstück sagte, dass ich es völlig in Ordnung fände, dass mein Sohn dem anderen eine gescheuert hat, rückten die anderen Damen von mir ab. Gewalt ist ein Tabu. 

Frauen haben eine andere Art zu kommunizieren als Männer. Sie sprechen, um Geselligkeit zu erreichen (gemeinsam um die Feuerstelle sitzen). Männer kommunizieren eher, um ein Ergebnis zu erzielen. Das Ziel zu erreichen, ist ihnen wichtiger als Einvernehmen. 

Besonders in Grundschulen und Kindergärten herrschen weibliche Kommunikationsprinzipien vor, weil dort bis heute mehrheitlich Frauen arbeiten. Weibliche Kommunikation ist nicht besser als die männliche Art. (Wehe denen, die nicht mit an die Feuerstelle dürfen!) Und vor allen den Jungs täte es gut, wenn sie mehr raufen dürften.**

Als Irmgard vorschlug, an ihrer Schule eine Raufecke einzurichten, in der sich die Schüler - unter Einhaltung vorher festgelegter Regeln - beherzt austauschen dürfen, kam sie mit ihrem Vorschlag nicht durch.

Trotzdem immer schön fröhlich bleiben

Uta

*Meinen Post zum Thema Geschwisterstreit findet ihr hier.
** Diese Erkenntnisse gründen sich auf mein Training hier.