Dienstag, 17. Juli 2012

Glückliche Familie Nr. 62: Jetlag einer Verkniffenen


Kronprinz (14) war gerade das erste Mal nach unserer Rückkehr aus L.A. wieder im Supermarkt. "Hier gibt es ja nichts zu essen", hatte er mit Blick in unsere Küchenschränke gesagt und sich mit Rucksack und Fahrrad auf den Weg gemacht. Mit "nichts" meinte er keine Chips und keinen Eistee, seine aktuellen Grundnahrungsmittel.

In solchen Situationen pflegt mein Mann zu sagen: "Was ist da schief gelaufen?"

Und ich pflege zu antworten: "Nichts!"

Man muss wissen, dass mein Mann leidenschaftlich gern kocht und großen Wert auf gesunde und frische Zutaten legt.

Prinzessin (11) sieht lieber eine schlechte Fernsehsendung als dass sie ein gutes Buch liest. Und sie liebt Langstreckenflüge. Da kann sie sich in die Polyesterdecke kuscheln, Cola bestellen und dreimal den gleichen Actionfilm gucken.

In Situationen wie der im Flieger pflege ich zu meinem Mann zu sagen: "Was ist da schief gelaufen?"

Und er pflegt zu antworten: "Nichts!"

Man muss wissen, dass ich so gut wie nie fernsehe und als Studentin davon überzeugt war, dass bewegte Bilder im Kinderzimmer die Kindheit zerstören. Außerdem habe ich aus Protest gegen die Digitalisierung unserer Welt meine Diplomarbeit statt auf dem Computer auf einer Schreibmaschine getippt, mehrere hundert Seiten, Tag und Nacht. Nur damit ihr wisst, aus welcher ideologischen Ecke ich komme.




In der vergangenen Nacht lag ich wegen des Jetlags stundenlang wach und überlegte mir ein Regelwerk für den Rest der Ferien. Unsere Nachbarn hatten in ihrem Frankreich-Urlaub keinen Internet-Anschluss, was ihre Kinder in kürzester Zeit in Bücherwürmer verwandelte. Und als ich meine Schwester Nummer Drei in ihrem kleinen Wohnwagen auf der dänischen Insel Rømø erreichte, rief mein Neffe aus dem Hintergrund: "Ich schaffe hier jeden Tag 80 Seiten."

So konnte das mit unseren Kindern nicht weitergehen, beschloss ich, als ich schlaflos an die Zimmerdecke starrte. Als ich eine Weile auf der linken Seite lag, entwickelte ich ein strenges Leseförderprogramm für die nächsten Tage, auf der rechten Seite liegend überlegte ich mir Sanktionen gegen den Chipskonsum und machte einen ballaststoffreichen Speiseplan für die ganze Woche, auf dem Bauch liegend formulierte ich Listen für fällige Gemeinschaftsarbeiten in Haus und Garten.

Jetzt musste ich nur noch einschlafen können, damit Super-Mama am nächsten Morgen das ehrgeizige Programm starten konnte. Je länger ich da lag, je mehr Listen in meinem Kopf entstanden, desto weniger konnte ich schlafen. Verkniffene Mütter sind fette Beute für den Jetlag. Noch um 3 Uhr früh war ich so fit, dass ich im Mondlicht den ganzen Garten hätte umgraben können.

Schließlich stand ich auf und las in dem Buch "Pubertät. Wenn Erziehen nicht mehr geht" von Jesper Juul. Wie wohl mir das tat. Neulich schrieb mir meine Leserin Saskia in einem Kommentar "Eine höhere Dosis 'Jesper Juul' täglich führt unweigerlich zum Glücklichsein aller Familienmitglieder." Wie recht sie hat.

Ich fand Stellen wieder wie diese:
Es ist für Jugendliche sehr wichtig zu wissen: Was denkt mein Vater? Was denkt meine Mutter? 99 Prozent der Jugendlichen nehmen die Meinung ihrer Eltern sehr ernst, wenn sich die Eltern die ersten Jahre in der Familie auch nur ein bisschen qualifiziert haben. Jedoch gibt es kaum Jugendliche, die ihren Eltern gegenüber offen zugeben, was sie denken. Wenn also der Vater sagt: "Mit dem, was du da tun willst, bin ich absolut nicht einverstanden. Das will ich auf keinen Fall!", dann wird der Jugendliche nicht dastehen und sagen: "Hm, wenn ich so darüber nachdenke, hast du eigentlich Recht, Papa, danke." Sie müssen ihr Gesicht wahren. Das heißt jedoch nicht, dass die Worte der Eltern keinen Einfluss haben.  aus: Jesper Juul: Pubertät. Wenn Erziehen nicht mehr geht, München 2010, S. 19/20

Weiter schreibt Juul, dass es weniger darauf ankommt, was wir unseren Kindern vermitteln, sondern vielmehr wie wir miteinander sind.

Das, worauf es ankommt, geschieht häufig ... zwischen den Zeilen. Es ist die Stimmung, wie wir als Eltern miteinander umgehen, wir wir mit anderen Menschen in unserer Umgebung umgehen, der Prozess, wir wir als Familie miteinander sind: All das erzieht.                                                                                            Jesper Juul, ebenda, S. 22

Kronprinz weiß natürlich, wie wir zu Chips stehen. Wir müssen nicht jeden Tag dozieren über deren Fettgehalt und die Wirkungen von Glutamat. Und Prinzessin weiß, was wir von stundenlangem  Fernsehen halten. Neulich stand sie am Küchenfenster und sah, dass die Kinder von gegenüber einen Zeichentrickfilm sahen. "Ich würde meine Kinder ja nicht so viel fernsehen lassen", sagte sie und guckte ganz verkniffen.

Immer schön fröhlich bleiben

Uta