Mittwoch, 6. Juni 2012

Glückliche Familie Nr. 51: Betreuungsgeld für Indianer


Ich suche ja immer nach den Dingen, die uns glücklich machen. Was mich sehr glücklich macht, ist einmal in der Woche abends zum Stepptanzen zu gehen. "Riverdance" im Vorort bei Astrid, die unten im Keller ihres Hauses ein privates Tanzstudio betreibt und oben vier Kinder groß zieht.

Das Tanzen ist schön. Fast genauso schön ist es, dass wir danach zusammen sitzen und Fruchtgummi-Herzen essen oder die leckeren Balsamico-Chips, die Brigitte manchmal mitbringt.
Wir leben wirklich in Balance. Die Kalorien, die beim Tanzen verloren gingen, knuspern wir schnell wieder drauf.

Vergangene Woche sprachen wir dabei über den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz. Carina meinte, dass sie früher dagegen gewesen wäre, Kinder in die Betreuung zu geben, aber heute würden das ja alle machen. Und es bleibe einem nur noch, dafür zu sorgen, dass die Betreuung wenigstens qualitativ gut sei.

Wir starrten in die Chips-Reste in der Tupperschüssel. Selten habe ich nach dem Tanzen einen solchen Trübsinn empfunden.

Ich konnte es nicht lassen über Bindungstheorie zu referieren und auszurufen, dass unsere Gesellschaft immer kränker werde, immer mehr Leute Depressionen entwickeln oder Burn out haben, weil wir nicht mehr im Einklang mit unseren sozialen und gesundheitlichen Bedürfnissen leben.

Es ist nicht gut, wenn mich der missionarische Eifer packt. Ich werde moralinsauer und besserwisserisch. Nicht machen, Uta. Stopfe dir lieber den Mund voll mit Fruchtgummi-Herzen.

Außerdem brauchte ich niemanden zu überzeugen. Meine Mittänzer waren alle bei ihren Kindern zu Hause, als sie klein waren.

Wir saßen um die Tupperschüssel rum als wäre das ein Lagerfeuer und wir wären steinalte Indianer, die nicht verhindern können, dass die Eisenbahn in die Prärie kommt.

Zu Hause suchte ich ein Buch heraus: Jean Liedloff "Auf der Suche nach dem verlorenen Glück. Gegen die Zerstörung unserer Glücksfähigkeit in der frühen Kindheit."

Die Amerikanerin Jean Liedloff hat als Model in Paris gearbeitet, hat diese Arbeit aufgegeben, um mehrere Expeditionen in den südamerikanischen Urwald zu unternehmen. Dort traf sie auf die Yequana-Indianer und lebte insgesamt zweieinhalb Jahre bei ihnen. In ihrem Buch beschreibt sie, wie eng und selbstverständlich die Yequana mit ihren Kindern zusammen leben und arbeiten, dass die Kleinsten bei ihren Eltern schlafen, ständig getragen würden von Mama, Tante, Oma oder Freundin und alle fröhlich ihren Aufgaben nachgingen.

"Der zwanglose, selbstverständliche Kontakt von Kindern zu Frauen, die einer nicht-kindbezogenen Arbeit nachgehen ..., zu Männern sowie zu anderen Altersgruppen ist in zivilisierten Gesellschaften unüblich. Diese Fülle bzw. dieser Mangel spiegele sich wider im Verhalten sowie der Gesundheit der Menschen (nicht nur der Kinder) in evolvierten bzw. zivilisierten Gesellschaften." (aus einem Wikipedia-Artikel über Jean Liedloff, aber lest lieber das ganze Buch, es lohnt sich) 

Nennt mich eine Sozialromantikerin, schreibt mir, dass wir nun mal nicht leben können wie venezuelanische Indianer. Das ist alles richtig.

Aber wir "Zivilisierten" dürfen uns auch nicht verleiten lassen, unser Gespür für unsere Bedürfnisse und für die Bedürfnisse unserer Kinder verschütten zu lassen von der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Erwartung, dass immer mehr Eltern Vollzeit arbeiten und selbst Kleinstkinder ganztägig in eine Krippe geben sollen.


Großstadtindianerin Uta vor 14 Jahren mit Kronprinz auf dem Weg zur Wasserstelle (Getränkemarkt).


Wir gut ausgebildeten Frauen wollen zu Hause nicht versauern. Wir wollen Kinder haben und unserer Berufung nachgehen dürfen.

Aber wenn wir meinen, wir müssten alle auf Gedeih und Verderb bald nach der Geburt eines Kindes wieder Vollzeit arbeiten, fallen wir von dem Pferd, auf das wir gestiegen sind, auf der anderen Seite wieder herunter.

Lasst uns kreativ sein und wirklich neue Ideen entwickeln anstatt zu Männern zu mutieren, die irgendwann in ihrer Karriere auch mal ein Kind entbunden haben.

Ich habe gelesen, dass Mütter in Schweden einen Betreuungsgutschein bekommen. Sie können entscheiden, ob sie diesen einsetzen, um eine Tagesmutter zu beschäftigen, ihr Kind zeitweise in eine Krippe geben oder sich das Geld auszahlen lassen, weil sie ihr Kind selbst betreuen möchten.

Das nenne ich Wahlfreiheit.

Und natürlich brauchen Kinder aus Migrantenfamilien eine hochwertige und frühe Förderung in einer Krippe oder Kita. Aber das ist doch ein ganz anderes Thema. Das würde ich komplett entkoppeln vom Betreuungsgeld.

Als junge Journalistin waren ich zusammen mit einer schwangeren Fotografin auf Recherche-Reise. Ehrgeizig und kinderlos wie ich war, fragte ich sie: "Du willst doch sicher bald nach der Geburt deines Kindes wieder arbeiten, oder?" Daraufhin sie: "Ich weiß es nicht. Ich weiß ja noch nicht, was für ein Kind ich bekomme."

Immer schön fröhlich bleiben

Uta


PS: Ich schlage das Wort "Herdprämie" als Unwort des Jahres 2012 vor.