Samstag, 3. März 2012

Glückliche Familie Nr. 19: Ein Bad für mich allein


"Er nahm sie bei der Hand, er führte sie zu ihrem Stuhl zurück und war schon mitten in seiner Liebeserklärung, bevor sie noch recht begriff, warum er sie zurückgehalten hatte."
Nicht nur mein Herz, auch das Badewasser gerät in Wallung. Ich rutsche tiefer in die Wanne und halte das Buch über der Brandung. Würde Fanny Price den schneidigen Henry Crawford erhören? Mit tropfenden Fingern blättere ich um.
"Doch er redete weiter, gestand ihr seine Liebe, hoffte auf ihre Gegenliebe und bot ihr schließlich in so klaren Worten, dass selbst sie nicht an ihrem Sinn zweifeln konnte, sein Herz, seine Hand, sein Vermögen an."
Meine Seufzer drücken Höhlen ins Schaumgebirge. Die gute alte Fanny. Will sie Crawford wirklich einen Korb geben, nur weil sie für ihren Cousin, einen hausbackenen Jungprediger, schwärmt?

Das Buch in der einen Hand, greife ich mit der anderen nach dem Edelstahlhebel an der Wand, um eine warme Strömung unter meine Beine zu leiten. Die Haarspülung von Prinzessin stolpert ins Wasser und reißt das Antischuppenshampoo und den Putzschwamm mit. Die Flaschen treiben in der Badewanne wie Müll in einem Hafenbecken. Ich wische die Tropfen von Henry Crawfords Liebesschwur.


Fanny Price und das Schuppenshampoo, das hart gegen Westindien kreuzte  



Der Schwamm beginnt zu sinken, als Sir Thomas, Fannys Onkel, den Raum betritt. Sie aber flüchtet sich ins Ostzimmer, "wo sie in der äußersten Verwirrung widerstrebender Gefühle unruhig umher wanderte. Fanny bebte am ganzen Körper, während sie ihre Gedanken ..." Boing. Ein Faustschlag erschüttert die Badezimmertür. "Mama, ich muss da rein?" - "Och, ne, geh doch unten. Ich liege gerade in der Wanne." - "Nein, ich brauche mein Deo." - "Und ich brauche meine Ruhe."- "Ich muss aber gleich los."

Ich lege den Roman an den Wannenrand und patsche zur Tür. Kronprinz stürzt hinein und räuchert mich mit Deo ein. Seine Schwester und sein Vater stehen plötzlich auch im Bad.
Ich habe doch nur die Badezimmertür geöffnet und keinen sozialistischen Schlagbaum.
Prinzessin sucht den Nagellackentferner, und mein Mann hat sich über das Waschbecken gebeugt. Mit dem Gesicht hängt er vor der Stelle, die er mit meinem Handtuch frei gewischt hat, um an einem Mitesser herum zu quetschen.
Möchten vielleicht die Nachbarn auch noch kommen? Ich hätte noch zwei Stehplätze neben der Toilette zu vergeben.

Sollten wir im Lotto gewinnen, lasse ich mir ein Badezimmer ganz für mich allein einrichten. Mit einer Wanne, an deren Rand schimmernde Muscheln wie angeschwemmt liegen. Mit einem Korbsessel, über den sich die Seide eines Morgenmantels ergießt. Das Bad meiner Träume hätte eine dick gepolsterte Tür, wie man sie in Anwaltsbüros sieht, schallisoliert gegen Familienlärm. Ungestört könnte ich Janes Austens Mansfield Park lesen. Meine Lieblingsbücher stünden auf einem weiß lasierten Bord über dem Korbsessel. Jetzt lagern sie noch im Arbeitszimmer - sozusagen im Trockendock. Literatur, die mit ins Wasser darf, muss am Meer spielen. Zum Beispiel E. Annie Proulxs Schiffsmeldungen oder Katherine Mansfields Erzählung An der Bucht.


Die Invasion meiner Familie ins Bad erinnert mich an meine Teenagerzeit. Damals waren es die älteren Schwestern, die durch meine Intimsphäre latschten. "Was schließt du ab? Bei dir ist sowieso nix wegzugucken."
Schon damals tröstete ich mich mit Literatur. Daran erinnern die Wasserzeichen in den alten Ausgaben. Siddharta klebt in der Mitte zusammen, weil ich in meiner Hermann-Hesse-Phase Orangenöl in die Wanne kippte. Die gesammelten Werke von Jane Austen tragen eine knittrige Dauerwelle. In Mansfield Park sind die Seiten mit Henry Crawfords Heiratsantrag ganz brüchig. Wieder und wieder musste ich lesen, wie der Zampano in den Sog seiner Liebe zu Fanny Price gerät. In solchen Momenten war der Schaum auf meinen Schlüsselbeinen der Kragen eines Empirekleides. Und "Seiner Majestät Schaluppe", auf der Fannys Bruder William zur See fährt, trieb neben meinen Knien. Es war das Schuppenshampoo, das hart gegen Westindien kreuzte.

Hätte ich ein eigenes Bad, würde ich es nach dem Putzen versiegeln lassen. So eine Plakette käme an die Tür, wie die Kripo sie nach der Spurensicherung an die Wohnungstür klebt. Nur dass ich keine Spuren sichern, sondern sicherstellen will, dass es keine Spuren gibt.
Fanny Price - da bin ich mir sicher - hätte es gut getan, nach den Heiratsanträgen eines langen Tages in meinem "Anti-Stress-Bad mit Sandelholz" zu liegen. Vielleicht hätte sie einen Science-Fiction-Roman, der im Jahr 2012 spielt, zur Hand genommen und die Zeit genossen, in der weder ein Prediger noch seine Brut über ihr liebstes Zimmer herfallen.

Immer schön fröhlich bleiben

Uta